Grundlagen Anthroposophie Teil 2 von Christoph Bolleßen

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«Mit dieser Vortragsreihe möchte Christoph in ruhiger und freier Rede, interessierten Menschen einige Leitgedanken der Anthroposophie Rudolf Steiners anschaulich darstellen und zugänglich machen. Zur weiteren Vertiefung in die Thematik empfehlen sich unter anderem die Schriften "Theosophie" (GA 9) und "Die Geheimwissenschaft im Umriss" (GA 13).»

Videokurs

- Grundlagen Teil 2 -
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Transkription der Grundlagen Anthroposophie Teil 2 [Der Entwicklungsgedanke, Reinkarnation, Karma]

Einleitung 0:00:26

Hallo und herzlich willkommen bei Kulturepochen, zu diesem zweiten Video Grundlagen Anthroposophie. Bevor wir beginnen, möchte ich gerne noch einmal ganz kurz auf den ersten Teil zurückkommen. Da hatte ich die Anregung bekommen, dass es bei dem Höhlengleichnis von Platon genau genommen nicht um einen Menschen in dieser besagten Höhle geht, sondern es sind mehrere Menschen. Und das Höhlengleichnis an sich ist auch wesentlich komplexer, als ich es in dem Video geschildert und dargestellt habe. Aber ich hoffe, dass der Sinn des Ganzen und die Verbindung zum Begriff Anthroposophie trotzdem deutlich geworden ist und dass ihr mir diese kleine Unachtsamkeit nachsehen möget.

Anknüpfung an Teil 1 0:01:32

Wir waren beim letzten Mal ausgegangen davon, dass der Mensch der Entgegengewendete ist und das gleichzeitig dieses Entgegengewendetsein aus einem Entwicklungsvorgang heraus sich ergeben hat. Das heißt der Mensch ist immer mehr zum Entgegengewendeten geworden.

Reinkarnation und Seelenwanderung 0:02:11

Und dieses Entgegengewendetsein hat gerade für uns in unserer Zeit natürlich noch einmal eine viel, viel größere Bedeutung als für die Menschen von vor einigen tausend Jahren. Und wenn wir sagen, wir schauen auf die Menschen von früher, dann möchte ich an dieser Stelle vielleicht einen nächsten Grundgedanken der Anthroposophie aufgreifen. Nämlich, dass wir sagen: Die Menschen von damals, das waren nicht fremde Menschen, sondern das waren auch wir selbst.

Sprich in diesen vorhergegangenen Entwicklungsstadien der Menschheit, da waren ganz konkret wir alle mit dabei und haben unseren mehr oder weniger kleinen Teil auch dazu beigetragen, dass die Verhältnisse von damals gestaltet wurden und auch bis heute nachwirken. In unserer Zeit, das ist auch ein grundlegender Gedanke, den man sich klar machen sollte, wenn wir sprechen von den Römern, den Ägyptern, den Griechen, dann sprechen wir da am besten nicht so, dass wir sagen: Das waren ja irgendwelche ganz anderen Menschen, die es heute nicht mehr gibt, sondern wir sollten eher den Gedanken führen: Das sind auch wir selbst gewesen, die damals für bestimmte Verhältnisse gesorgt haben. Und dieser Gedanke von Reinkarnation, von Wiederverkörperung, der ist eben ganz entscheidend, um sich in der Anthroposophie zurechtzufinden.

Und viele von euch haben wahrscheinlich das Wort, den Gedanken der Reinkarnation schon einmal gehört bzw. haben sich vielleicht auch schon einmal damit verbunden. Und es ist vielleicht noch einmal wichtig herauszustellen, dass wenn wir in der Anthroposophie von Reinkarnation sprechen, dann hat das eine andere Bedeutung als zum Beispiel in den Kulturen des Hinduismus und des Buddhismus. Das sollten wir im Prinzip auch wieder hineingestellt verstehen in diesen Entwicklungsgedanken der Menschheit. Nämlich, dass die Reinkarnation, so wie wir sie heute verstehen, entscheidend verbunden ist mit dem sogenannten Ich des Menschen. Das Ich des Menschen ist der Wesenskern, unser innerstes Selbst, könnte man sagen. Und dieses innerste Selbst hat sich auch im Laufe der Zeiten entwickelt und wurde geboren. Dass wir vollständig über die Fähigkeiten, Kapazitäten, Qualitäten dieses Ich verfügen können, das ist in der Menschheitsgeschichte noch ein relativ junges Ereignis. Nicht mehr ganz jung, aber im Verhältnis zur gesamten Menschheitsentwicklung ist es noch sehr neu.

Und in Bezug auf die Reinkarnation ist es so, dass wenn wir im Buddhismus, im Hinduismus von Reinkarnation hören, dann wäre der Begriff der Seelenwanderung eigentlich eher angebracht. Und zwar entstammen diese Kulturen einer Zeit, in der jenes Ereignis, durch das der Mensch den Zugriff auf seine volle Ich-Kapazität, auf seine Ich-Fähigkeiten bekommen hat. Dieses Ereignis war zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollzogen. Das heißt, die weisen Eingeweihten, die im Hinduismus, im Buddhismus von Reinkarnation gesprochen haben, die haben damals noch nicht das erfassen können, was wir heute erfassen können. Sprich, es handelte sich damals um eine Lehre von dem immer wiederholten Inkarnieren der menschlichen Seele.

Und ab diesem bestimmten Zeitpunkt – der Menschwerdung Christi – dem Jahre Null, dem Mysterium von Golgatha, wie Rudolf Steiner es nennt – ab diesem Zeitpunkt wird die Seele des Menschen um einen ganz entscheidenden, eigentlich den entscheidendsten Teil erweitert. An dieser Stelle wird der moderne Mensch zu einem wirklichen, vollwertigen Geistwesen. Wobei das natürlich nicht heißen soll, dass die Eingeweihten von damals das nicht haben sehen können. Sie wussten, es steht etwas Großes bevor – das Mysterium von Golgatha. Aber sie hatten eben noch nicht den vollständigen Blick auf die Dinge, so wie er uns heute möglich ist. Heute haben wir alle Zugriff auf unser Ich, wenn wir es anstreben. Und das war eben damals noch nicht vollumfänglich der Fall. Das heißt also, die Überlieferungen der Seelenwanderung unterscheiden sich noch etwas von denen der Reinkarnation, wie wir es im heutigen anthroposophischen Sinne verstehen würden. Reinkarnation ist Teil der Menschheitsentwicklung.

Für uns ist es sehr wichtig zu begreifen, dass der Sinn des Menschen nicht darin bestehen kann, dass wir einmal auf die Erde kommen, in einem physischen Leib wohnen, Erfahrungen machen und dann gehen, sodass dieses Ereignis des Erdenlebens sozusagen ohne Konsequenzen bleibt. Konsequenzen jetzt natürlich auch im positiven Sinne, denn wir lernen auf der Erde, in dieser materiellen Welt, Dinge, die in der geistigen Welt, in einer Nicht-Verkörperung, in einer nicht Einverleibung nicht so ohne Weiteres gelernt werden können. Und das heißt, dieser Entwicklungsgedanke beinhaltet eben auch, dass der Mensch sehr oft, immer wieder in ein Erdenleben hineingeht, in eine Verkörperung hineingeht mit der Geburt, dann eine gewisse Zeit auf Erden in einem physischen Leib verbringt und schließlich durch den Tod, über die Schwelle des Todes geht, um dann in einer geistigen Existenz die Erlebnisse des verkörperten Daseins zu verarbeiten und sich dann von einer höheren Perspektive aus für die nächste Inkarnation entsprechende Aufgaben vorzunehmen.


Karma 0:11:20

Und das kann natürlich zunächst ein befremdlicher Gedanke sein. Aber ich finde, wenn man ihn vorurteilsfrei einmal auf sich wirken lässt – es gibt ja viele Menschen, die Erinnerungen haben. In ihnen steigt, wenn sie einen gewissen Ort besuchen, wenn sie mit einem bestimmten Menschen zusammentreffen, in ihnen etwas auf, was von einer Bekanntheit zeugt. Nach dem Motto: Mir kommt es so vor, als hätte ich diesen Menschen schon einmal getroffen oder als wäre ich an diesem Ort schon einmal gewesen. Es kann sich um Sinnestäuschungen handeln, aber es sind mit Sicherheit auch viele Erlebnisse dabei, durch die sich eine karmische – das wäre das nächste wichtige Wort in diesem Zusammenhang – eine karmische Verbindung zeigt.

Karma ist das Schicksal, dass ein Mensch bzw. mehrere Menschen miteinander haben, indem sie in einem verkörperten Leben miteinander interagieren, indem sie während einer Verkörperung miteinander zu tun haben. Und dieses Karma, dieses Schicksal, ist also nicht gebunden nur an ein Erdenleben, sondern dieses Karma wird mitgenommen, könnte man sagen, in das nächste, vielleicht in das übernächste, vielleicht sogar in mehrere Leben hinein, um dann als Lerneffekt aus der Vergangenheit wieder aufzutauchen.

Und es gibt ja heutzutage diese eher dramatische Darstellung des Karma, dass wenn ich jemandem im vergangenen Leben auf den Fuß getreten habe, er mir dann im nächsten Leben auf den Fuß tritt. Ja, das könnte man so sagen, aber das ist natürlich nur eine sehr reduzierte Sichtweise. Denn es geht ja beim Karma, beim Schicksalsweben, um viel mehr. Es geht um geistig-seelische Fähigkeiten, die wir uns aneignen und die zu erlernen viel, viel größere Zeiträume unter Umständen braucht, als nur eine Inkarnation auf Erden. Und wenn man sich auf diese Art und Weise an die Sache geistig herantastet, dann findet man auch sehr schnell Zustimmung in der Seele, dass diese Lehre von Reinkarnation und Karma durchaus sinnvoll ist oder sinnhaft ist.

Die Sinnhaftigkeit der Geistigen Welt 0:14:35

Und im Prinzip geht es um Sinnhaftigkeit andauernd, denn die geistige Welt besteht letzten Endes nur aus Sinn. Es geschieht im Universum, im Kosmos nichts Sinnloses. Und die Gestaltung der Zeiträume ist dabei, wie wir ja auch aus der Naturwissenschaft wissen, mitunter sehr, sehr großzügig. Bestimmte Entwicklungsziele dauern sehr lange, gerade im Universum, im Kosmos, was die Planeten angeht, was die Sonnen angeht, die Sterne usw. Also das heißt, wir als Menschen sind auch in diese größeren, in diese längeren Rhythmen eingebunden und erscheinen immer wieder in aufeinanderfolgenden Inkarnationen in der physisch mineralischen Welt.

Und das ist zunächst Teil unserer Individualentwicklung aber auf alle Menschen hin gesehen, ist das auch ein Teil der gesamten Menschheitsentwicklung und auch der Weltentwicklung. Denn nicht nur wir Menschen erscheinen, vergehen, erscheinen, vergehen, sondern auch unser Planet – die Erde. Und sogar unser Sonnensystem. Und wie es anzunehmen ist, auch das gesamte Universum. Die gesamte materielle Schöpfung unterliegt diesen Zyklen von Werden und Vergehen.

Werden und Vergehen 0:16:53

In der Natur ist es ja genauso. Wir haben hier in Mitteleuropa das große Privileg, dass wir alle vier Jahreszeiten in einer recht ausgeprägten Form wahrnehmen können. Und wir haben da zunächst einmal den Winter als den Zustand, in der die vegetative Natur sich völlig zurückgezogen hat. Man könnte sagen, wie sie abgestorben ist. Wie sie dann im Frühjahr wieder ersteht, den Höhepunkt des Werdens im Sommer erreicht und dann im Herbst wieder beginnt abzusterben, um im Winter dann wieder den Tod gefunden zu haben und im Frühjahr wieder neu zu erstehen.

Das heißt, wir haben überall um uns herum Hinweise, Indizien auf diese Zyklen von Entwicklung – stirb und werde. Und dieses Stirb und Werde eben nicht nur als Wiederholung des immer Gleichen, sondern in dem Moment, in dem wir sterben und wieder erscheinen, erscheinen wir ein kleines Stück weiterentwickelt, könnte man sagen. Und dieses Weiterentwickeln ist der Grund dafür, dass der Mensch zwangsläufig irgendwann an den Punkt kommen kann oder soll, dass er bereit ist, in der Höhle aufzustehen und sich umzuwenden, um zu schauen: Woher kommt das geistige Licht? Woher komme ich? Was ist das Leben? Was ist Realität?

Der Mensch, ein Geistwesen 0:19:01

Diese großen Fragen, die in der Menschheit emporgestiegen sind und die ja auch heute durchaus noch nicht vollumfänglich beantwortet worden sind, aber die notwendige Willenskraft und der Impuls, dass der im Menschen vorhanden ist, das ist laut Rudolf Steiner ein ganz entscheidendes Indiz dafür, dass der Mensch ein Geistwesen ist. Und dass der Mensch die Aufgabe hat, das Geistige zu erforschen. Er sagt dies sehr schön mit einem Bild in den anthroposophischen Leitsätzen, wo er beschreibt, dass ein Fisch in einem Gewässer irgendwann einmal bis an den Rand des Gewässers schwimmt. Und am Rande dieses Gewässers merkt er: Hier kann ich nicht weiter. Und dann macht der Fisch folgendes: Er dreht um und schwimmt wieder hinaus in das Gewässer, vom Ufer weg. Das heißt, es ist eine Naturgegebenheit für den Fisch, dass seine Realität am Ufer dieses Gewässers endet und er kehrt um, schwimmt wieder ins Wasser und das kümmert ihn nicht weiter.

Beim Menschen ist es hingegen so: Er kommt an die Grenze der Sinneswelt. Er bemerkt: An dieser Stelle geht es nicht so weiter, wie ich es bisher in meinem Leben kannte. Aber der Mensch wendet sich eben nicht um und kehrt in die Sinneswelt zurück, sondern an dieser Grenze zum Übersinnlichen entstehen Fragen. Zum Beispiel: Was ist das Leben? Wie viele Sterne am Himmel gibt es? Wer hat die Sterne geschaffen? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Diese Fragen entstehen zwangsläufig im Menschen. Während sie in der Tierwelt, um bei dem Beispiel des Fisches zu bleiben, nicht entstehen.

Das heißt, die Tatsache, dass der Mensch sich Fragen stellen kann, dass die Fragen im Menschen auftauchen über das Höhere, über das Übersinnliche, ist ein klares Indiz dafür, dass der Mensch diese Grenze und vielleicht darüber hinaus erkunden soll.

Abschluss 0:22:11

So viel vielleicht für den Moment. Ich bedanke mich sehr herzlich bei euch fürs Dabeisein und sage hoffentlich bis zum nächsten Mal zum dritten Teil. Danke!

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