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Goethes Märchen und der Kultus Michaels in den geistigen Welten - ein Vortrag von Michael Rheinheimer, 2025: Unterschied zwischen den Versionen
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=== Einleitung: Albrecht Haushofer und Goethes Märchen 00:00:27 === | === Einleitung: Albrecht Haushofer und Goethes Märchen 00:00:27 === | ||
Version vom 22. Dezember 2025, 22:04 Uhr
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Einleitung: Albrecht Haushofer und Goethes Märchen 00:00:27
Sehr verehrte, liebe Anwesende, lieber Herr Röhm, liebe Frau Mark, herzlichen Dank für diese erneute Einladung in die goetheanistisch-anthroposophische Vortragsinitiative in das ChorForum hier nach Essen.
Herr Röhm hat es gerade erwähnt, dieser Vortrag ist nicht eine Fortsetzung, aber knüpft gewissermaßen an einen Vortrag an, den ich im März dieses Jahres hier halten durfte, angesichts des 80. Todestages Albrecht Haushofers in den letzten Tagen, Wochen des Zweiten Weltkrieges. Albrecht Haushofer, ein Widerstandskämpfer im 20. Jahrhundert, Autor der Moabiter Sonette und auf seine ganz eigene Weise ein spiritueller Zeuge eines Christuswirkens im 20. Jahrhundert. Und der ist ermordet worden durch die SS damals.
Und ich hatte am Ende meines Vortrages auf etwas hingewiesen, was ich erst in diesem Jahr überhaupt entdeckt habe: Dass das Grab Albrecht Haushofers auf einem Kriegsgräberfriedhof in Berlin-Moabit, der Sankt-Johannis-Kirche, direkt auf der anderen Straßenseite der Adresse des Hauses ist, in dem Rudolf Steiner an Michaeli 1900 – also am 29. September des Jahres 1900 – in der sogenannten Theosophischen Bibliothek seinen ersten geisteswissenschaftlichen Vortrag gehalten hat über Goethes "Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie".
Und da sagt er später im Rückblick – der Vortrag ist nicht mitstenografiert, aber er hat selber über ihn später gesagt – da konnte ich zum ersten Mal ganz esoterisch werden und Worte sprechen, die aus der geistigen Welt selber heraus geprägt waren. Also man kann davon ausgehen, das ist sein erster geisteswissenschaftlicher Vortrag. Und er hat auch später gesagt – das habe ich aus AnthroWiki – dass er diesen Vortrag später als die "Urzelle der Anthroposophie" bezeichnet hat. Man kann vielleicht daran anknüpfend sagen: gewissermaßen vielleicht auch die Grundsteinlegung der Michaelsschule auf Erden.
Was das zu bedeuten hat im Zusammenhang mit Goethes Märchen, da wollen wir uns heute Abend herantasten. Und Herr Röhm hatte – erwähnte er dann eben – die Frage, die Bitte, ob ich über Goethes Märchen einmal sprechen kann. Erste Frage: Wer von Ihnen hat es ganz durchgelesen? Sehr schön. Ich bin beeindruckt. Ich bin Sohn zweier studierter Germanisten, die beides ausgewiesene Goethe-Kenner sind, und ich habe festgestellt, die kennen Goethes Märchen nicht, obwohl sie wirklich mit Goethe sich gut auskennen, ich vermute sogar besser auskennen als ich, und die waren erstaunt, dass es das gibt. Es heißt hier nur "Das Märchen", Ende des 18. Jahrhunderts geschrieben, in den – jetzt fehlt es mir – den "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten", da ist dieses Märchen gewissermaßen enthalten.
Kultus Michaels und das Märchen als Miniaturbild 00:03:28
Und Rudolf Steiner hat ja etwas sehr Erstaunliches 1924 gesagt: Dass er gesagt hat, Goethe war offen für eine Inspiration, als er dieses Märchen niedergeschrieben hat. Und dieses Märchen bezeichnet er als ein Miniaturbild des Kultus Michaels in den geistigen Welten. Einen Kultus Michaels, eines Erzengels, eines hierarchischen Wesens, das er selber in den geistigen Welten vollzogen hat. Und Goethe war offen für dieses geistige Ereignis. Und das, was er damals, Ende des 18. Jahrhunderts niedergeschrieben hat, Rudolf Steiner nennt das ein Miniaturbild dieser liturgischen Handlung.
Das ist erst mal ein erstaunlicher Vorgang, der den ein oder anderen vielleicht auch erst mal an die Grenzen seines Vorstellungsvermögens bringt: Dass in der geistigen Welt geistige Wesen, hierarchische Wesen liturgische Handlungen vollbringen. Das ist uns, wenn wir das Evangelium kennen, zum Beispiel die Apokalypse, aber durchaus vertraut. Sie wissen, oder die meisten von Ihnen wissen, Johannes der Apokalyptiker ist auf Patmos, hat eine geistige Schau, kann sagen: "Der Himmel war offen." Und dann sieht er in diesem geöffneten Himmel einen Thron, da ist das Lamm mit den sieben Augen und den sieben Hörnern. Um das Lamm drumherum gesellt das sogenannte Viergetier: Löwe, Adler, Stier und Mensch. Und dann gibt es die 24 Ältesten, die Schalen in ihren Händen haben, und in diesen Schalen – so berichtet der Apokalyptiker – sind die Gebete der geistergebenen Menschen auf Erden. Und dann tritt ein Engel vor einen Altar mit einem goldenen Rauchwerk und räuchert dort vor diesem Altar. In der geistigen Welt wird eine liturgische Handlung von einem Engelwesen vollzogen. Und dann wird davon berichtet, dass sich der Rauch, der Weihrauch aus diesem goldenen Rauchgefäß verbindet mit den Gebeten der geistergebenen Menschen von der Erde, die in den Himmel strömen. Also Himmel und Erde sind in dieser liturgischen Handlung miteinander verbunden.
Und ja, man kann sich damit unterfragen, ob die Menschenweihehandlung in der Christengemeinschaft nicht auch so eine Art – ich will nicht sagen Miniaturbild, aber ein irdisches Abbild eines solchen hierarchischen oder englischen Kultus ist. Als Pfarrer stehe ich immer mal wieder vor der Frage, dass Menschen zu mir herkommen und sagen: "Ich würde gern mein Kind von Ihnen taufen lassen, aber ich habe mir selber einen Kultus überlegt, können Sie den machen?" Oder Menschen wollen – ist mir auch schon passiert – dass sie mich darum bitten, in den Wald zu gehen und dann nach einem schamanischen Ritus die beiden Menschen zu trauen. Das kann dann gewisse mantrische Texte beinhalten, man will dann vielleicht auch eine weiße Taube in den Himmel steigen lassen. Gut, man muss das gar nicht bewerten und ich glaube, in jeder geistigen Handlung wirken auch geistige Kräfte. Ich lehne das natürlich ab, würde ich als Pfarrer so nicht machen, bin Priester der Christengemeinschaft. Aber ich versuche natürlich mit den Menschen in ein Gespräch zu kommen mit der Frage: Was sucht ihr? Und die meisten suchen natürlich eine geistige Kraft, die ein Kind taufen kann, eine geistige Kraft, die zwei Menschen in einer Ehe miteinander verbinden können.
Und dann ist eine Frage: Haben die ein Gefühl dafür, wenn man sich wirklich mit einer bestimmten geistigen Kraft gewissermaßen verbinden möchte, dass man dazu auch Formen braucht, kultische Formen, die wir unter Umständen nicht einfach selber so konstruieren können, sondern die auch ihre Urbilder in der geistigen Welt mitunter von geistigen Wesen selber haben? Und wo es natürlich Menschen braucht, die wie Johannes der Apokalyptiker auch die Fähigkeit haben, diese geistigen Formen erst einmal wahrzunehmen, damit man sie dann auf der Erde in der richtigen Weise auch vollziehen kann. Manchen Menschen ist es verständlich, anderen nicht. Ja, da muss man gucken, wie man mit einer solchen Situation umgeht.
Man kann sich natürlich auch die Frage stellen, ob es nicht durchaus Menschen gibt, die auch auf der Erde liturgische Handlungen oder Gottesdienste vollziehen können, die dann auch wieder für die geistige Welt oder für ein Engelwesen eine Realität haben. Denn überlegen Sie einmal, in der Pfingstepistel der Menschenweihehandlung, da heißt es ja: "Die Weihehandlung, die entstammet der Einsetzung Christi." Also der Christus muss dort auf Erden etwas eingerichtet – zumindest wäre das eine Frage, ob das auf Erden war – einen Gottesdienst, das Abendmahl sowieso eingerichtet haben. Und das ist dann eine liturgische Handlung, die gewissermaßen auch für die geistige Welt eine Gültigkeit hat.
Es gab mal vor etwa 40 Jahren einen Priester der Christengemeinschaft, Emanuel Zeylmans van Emmichoven, der hat damals schon zu den Bildern eines Malers, Werner Diedrich, über Goethes Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie Aufsätze geschrieben. Da hat er etwas entdeckt – ich weiß gar nicht, ob er der Erste war, der es entdeckt hat, aber ich kenne es von ihm: Ganz am Ende von Goethes Märchen, da ist in dem großen Tempel ein Altar und der Altar ist aber gewissermaßen leer. Und er sagt, auf dem Altar muss ein Kultus vollzogen werden. Welcher Kultus wird auf diesem Altar vollzogen? Und das kann man vielleicht ein Stück weit so erleben oder verstehen, dass dieses Goethe'sche Märchen – von dem Rudolf Steiner sagt, das ist ein Miniaturbild des Kultus Michaels in den geistigen Welten – dass eigentlich das Märchen selber der liturgische Gottesdienst ist, der fortwährend auf diesem Altar vollzogen wird.
Die Michaelsschule und die Sehnsucht nach Anthroposophie 00:09:56
Rudolf Steiner hat am 16. September 1924, dem zweiten Geburtstag der Christengemeinschaft – ich will Ihnen das kurz vorlesen, weil das sollten wir in seinen eigenen Worten hören – eben von diesem Vorgang eines Kultus Michaels in den geistigen Welten gesprochen. Ein liturgischer Vorgang, wie in dem achten Kapitel der Johannes-Apokalypse, dass ein Engel eine gottesdienstähnliche Handlung im Himmel vollzieht. Und dann sagt er drei Dinge, in welcher Weise das seine Wirkung hat.
Das eine, wovon er spricht, dass er sagt: Alle Menschen, die in der geistigen Welt vorgeburtlich an diesem Engelkultus teilgenommen haben, bei denen kommt diese Erfahrung, wenn sie auf die Erde kommen, wieder zutage in ihrer Sehnsucht nach Anthroposophie. Also ich unterstelle Ihnen allen, dass Sie auf die ein oder andere Weise an diesem Erlebnis teilgenommen haben, sonst säßen Sie heute Abend nicht hier. Kann ja eines der beeindruckendsten Erfahrungen sein, wenn Menschen sich untereinander erzählen, wie sie ihren Weg zur Anthroposophie gefunden haben. Manchen Menschen ist das in die Wiege gelegt worden, manche Menschen sind an irgendwelchen anderen entlegenen Orten in der Welt und es gibt wirklich gar nichts aus ihrem Umfeld, was erst mal darin ausgerichtet ist, dass diese Menschen das finden. Und dann haben sie an einem bestimmten Moment eine Begegnung mit einem anderen Menschen oder mit einer Situation, wo sie dem begegnen und plötzlich das Gefühl haben: "Das ist das, was ich die ganze Zeit suche." Und immer nicht die Begriffe oder die Worte dafür gefunden habe, und dann macht man sich weiter auf die Suche.
Und er sagt, alle Menschen, die – ein Albrecht Haushofer zum Beispiel, das muss man sagen, komme ich später noch dazu, ist ein Mensch gewesen, der zum Beispiel nicht diese Sehnsucht nach Anthroposophie damals im 20. Jahrhundert ins Dasein mitgebracht hat. Trotzdem glaube ich, dass er seine ganz eigene Beziehung zu Goethes Märchen und zum Kultus Michaels gehabt hat. Aber da schauen wir am Ende noch etwas drauf.
Aber alle Menschen, die Anthroposophie auf Erden suchen, die eine bestimmte Sehnsucht in ihrem Herzen haben, die müssen von diesem Kultus Michaels in der geistigen Welt berührt worden sein, der einen Vorgang abschließt, den Rudolf Steiner selber die sogenannte Michaelsschule nennt. Also Michael scheint ein Engel zu sein, der in der geistigen Welt nicht nur liturgische Handlungen vollzieht, sondern auch – so berichtet das Rudolf Steiner – einen Kreis von Menschen, von Elementarwesen, von Wesen, die zu ihm gehören. Steiner nennt das "Michael und die Seinen". Die hat er im 16., 17., 18. Jahrhundert unterrichtet. Noch einmal alle Mysteriengestaltungen der vergangenen Menschheitsgeschichte sind dort in einem großen kosmischen Unterricht vor den Seelen der Menschen aufgetaucht. Die haben auch die Erfahrung gemacht, dass diese alten Mysterien irgendwann einmal verstummen sollten, verstummen mussten. Aber durch das Christusereignis, das durch das Mysterium von Golgatha in einer neuen Weise auf Erden sich erneuert hat, und man durch diese Erfahrung mit diesem Michaelischen Wirken in der geistigen Welt im 20. Jahrhundert auf die Erde kommt und mit dieser Erfahrung versucht, auf diesen Impulsen auf der Erde zu wirken.
Und Rudolf Steiner, ich will das in seinen eigenen Worten Ihnen einmal vorlesen, der sagt:
"In der übersinnlichen Welt wurde dazumal ein Kultus eingerichtet, der in realen Imaginationen geistiger Art sich abspielte, so dass man sagen kann: Am Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts schwebt eigentlich unmittelbar angrenzend, ganz in der Nähe der physisch-sinnlichen Welt ein übersinnliches Geschehen, das darstellt übersinnliche Kultushandlungen, mächtige Bilderentwicklungen des geistigen Lebens, der Weltenwesenheiten, der Wesenheiten der Hierarchien im Zusammenhang mit den großen Ätherwirkungen des Kosmos und mit den menschlichen Wirkungen auf der Erde. Es ist interessant, dass in einem besonders günstigen Augenblick von dieser übersinnlichen Kultusbetätigung, ich möchte sagen, ein Miniaturbildchen einströmte in Goethes Geist. Und dieses Miniaturbildchen, dieses metamorphosierte, veränderte Miniaturbildchen haben wir von Goethe hingemalt in seinem Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie."
Die vier Stufen des Märchens als liturgische Handlung 00:15:02
Emanuel Zeylmans hat in diesem Buch dann etwas entwickelt, was gewissermaßen direkt daran anknüpft, an diese Worte Rudolf Steiners 1924, dass dieses Märchen von Goethe – von dem Steiner sagt, es ist ein Miniaturbild dieses Michaelischen Kultus – im Grunde genommen vier Stufen einer liturgischen Handlung enthält.
Ganz am Anfang wird erst einmal das Exposé einer Grundsituation aufgemacht, durchklingt von den Worten des Alten mit der Lampe: "Denn es ist an der Zeit." Es geht um einen Fluss, einen großen, dunklen und schwarzen Fluss, der gewissermaßen – wie jemand anderes das mal schön formuliert hat – wie ein moralisches Wesen ist, dieser Fluss. Man kann diesen Fluss gewissermaßen auch als eine Schwelle wahrnehmen, als eine Schwelle zwischen zwei Reichen. Das eine ist das Reich der grünen Schlange, das andere ist das Reich der schönen Lilie. Und diese beiden Reiche, die sind getrennt von diesem großen, schwarzen Fluss. Und die große Frage ist: Wie kann man diese beiden Reiche miteinander verbinden?
Nun, in dem Reich der grünen Schlange, da wird davon berichtet, dass es einen unterirdischen Tempel gibt mit vier Königen: einem goldenen, einem silbernen, einem ehernen König und einem sogenannten gemischten König. Und diese grüne Schlange ist kein mephistophelisches Wesen, wie wir oft konditioniert sind, Schlangen erst einmal wahrzunehmen – die Schlange aus dem Paradies oder die drachenhafte Schlange. Das ist ein ganz rührend gutartiges Tier, das Gold in sich selber verwandeln, sich an dem Gold durchleuchten kann. Und von dieser Schlange wird berichtet, dass zur Mittagszeit, wenn die Sonne am höchsten ist, da bildet diese Schlange eine Brücke. Und alle Wanderer, die das aushalten, zur Mittagszeit über diese Brücke gehen, die können das auf diese Weise tun oder machen.
Und dann gibt es noch ein anderes Wesen, das ist ein Riese, ein ungeschlachter großer Riese. Der bietet einem die Möglichkeit in der Abenddämmerung, wenn er einen Schatten wirft. Der Schatten ist von der Qualität dunkel und schwarz, wie das Wasser, das aufgepeitscht werden kann durch die Goldstücke der Irrlichter. Am Anfang heißt es, das Wasser ist über beide Ufer getreten. Der Riese gibt einem die Möglichkeit, auch auf seinem schwarzen Schatten über diese Schwelle des Flusses hinüberzugehen. Goethe selber hat gesagt, man kann dieses Märchen – ich glaube auf 99 verschiedene Weisen interpretieren. Es geht nie um die eine Interpretation. Aber eine Interpretation dieser 99, die ganz sicherlich nicht falsch ist, [ist] dass die Möglichkeit, auf dem Schatten des Riesen über diese Schwelle zu gehen, für alle Möglichkeiten stehen, wo wir unerlaubt über die Schwelle des Geistigen herübergehen.
Denn diese beiden Reiche – das Reich der grünen Schlange, das Reich der schönen Lilie... Gut, manche Leute haben das auch berechnet aus der Sonnenstellung, dass das Reich der Schlange das Reich des Westens ist, das Reich der Lilie, dass das der Osten ist. Aber es geht grundsätzlich über diese beiden Reiche: das sinnlich-physische Reich und das geistig-ätherische. Und überlegen Sie mal, auf welche Weise man über den Schatten des Riesen auf eine bestimmte Weise, vielleicht erst einmal problemlos, in dieses Reich der schönen Lilie gelangen kann. Jede Form von, sagen wir mal, Drogenmissbrauch oder LSD oder Ähnliches gibt einem natürlich die Möglichkeit, auf diesem Schatten des Riesen, unerlaubt – wenn vielleicht auch erst einmal kostengünstig – in das andere Reich hinüberzukommen.
Man muss aber wissen, dass in dem Reich der schönen Lilie bestimmte geistige Gesetze gelten. Die Lilie, die Herrscherin dieses Reiches, die kann Totes verlebendigen, aber auch Lebendiges wieder tot machen. Und da gibt es einen schönen Jüngling, der früher mit der Lilie verbunden war und der seine Königsattribute verloren hat und der sich mit der Lilie allerdings verbinden will. Und der hat sie aus seiner Sehnsucht heraus berührt und ist damit zu Tode gekommen. Und es geht um die Frage, ob er wiederbelebt werden kann. Und da merkt man, das ist so eine Sache, diese ganze Welt, die da aufgemacht wird am Anfang – der Fluss, die beiden Reiche – die ruft danach, dass es zu einer Verwandlung kommt, zu einem neuen Prozess, wo diese beiden Reiche in einer neuen Weise miteinander verbunden werden. Aber das Ganze, dieser erste Teil, wie eine Verkündigung des Rufes des Alten mit der Lampe, der am einen Mal sagt: "Denn es ist an der Zeit." Man weiß noch nicht genau, für was es an der Zeit ist, aber es scheint zumindest für etwas an der Zeit zu sein, dass diese ganze Welt, diese beiden Reiche in einer neuen Weise miteinander verbunden werden.
Und dann kommt es wie zu einem zweiten Schritt in diesem Goethe'schen Märchen, nachdem am Anfang erst einmal so das Grundexposé verkündet wird: dass die Schlange sich opfert. Deren Leib zerfällt in Edelsteine und sie sagt: "Mich zu opfern, bevor ich aufgeopfert werde." Und aus diesen Edelsteinen, in denen der Leib der Schlange zerfallen ist, entsteht nun eine Brücke, durch die Menschen von der einen Seite auf die andere kommen können. Vorher gab es immer nur einen Fährmann mit einem Kahn und auch der agierte unter folgendem Gesetz: Er durfte zwar immer die Menschen vom Reich der schönen Lilie in das Reich der grünen Schlange hinüberbringen, aber nie umgekehrt. Und jetzt, dadurch, dass die Schlange sich geopfert hat – "mich zu opfern, bevor ich aufgeopfert werde" – ist dieser in Edelsteine zerfallene Leib der Schlange eine Brücke zwischen diesen beiden Bereichen.
Und dieses Opfer der Schlange, ihres Leibes in Edelsteine, bewirkt nun einen gewaltigen Prozess der Wandlung, der Metamorphose, vielleicht kann man sogar sagen der Transsubstantiation. Denn nun wird dieser unterirdische Tempel mit den vier Königen, der zieht unter dem schwarzen Fluss hindurch, reinigt damit das Flusswasser – das ist am Ende nicht mehr schmutzig und schwarz – und dieser Tempel wird im Reich der schönen Lilie offenbar. Und der Jüngling – grob verkürzt gesagt – kann wiederbelebt werden.
Und der vierte Teil dieses Goethe'schen Märchens ist nun, dass dieser Tempel der besuchteste der ganzen Erde war. Denn auf der Brücke, die die Schlange durch ihre geopferten Edelsteine gebildet hat, ist nun eine Verbindung zwischen diesen beiden Reichen und der Tempel hat seine Pforten geöffnet.
Also Sie merken, ich finde das... ja, Emanuel Zeylmans verweist darauf hin, dass er sagt: Die Hütte des Fährmanns wird dann im Inneren des Tempels zu einem Altar. Und wie ich am Anfang schon sagte: Dieses Goethe'sche Märchen, dass diese vier Schritte einer liturgischen Handlung oder einer Menschenweihehandlung hat, ist wie so ein Kultus, der auf diesem Altar selber vollzogen wird. Und ich selber, der dieses Jahr in Vorbereitung auf diesen Vortrag auch im Umgehen mit diesen Bildern dachte, auch das ist doch ganz wunderbar, dass dieses Goethe'sche Märchen und dieser Kultus Michaels und die Menschenweihehandlung der Christengemeinschaft in dieser viergliedrigen Liturgik gewissermaßen eine Grundbewegung haben, in der sie sich geistig untereinander durchleuchten und durchstrahlen.
Und das Ganze kann man vielleicht ja auch eingemündet erleben in diesem Satz: "Die Menschenweihehandlung, die entstammet der Einsetzung Christi." Dass man diese vier Stufen im Grunde genommen auch zur Zeitenwende während des Mysteriums von Golgatha erleben kann. Sagen wir mal in dieser Zeit von dem Palmsonntag, diese 57 Tage über Ostern, Himmelfahrt bis Pfingsten. Dieser Weg vom Palmsonntag – erst einmal die gewaltigen Verkündigungen des Christus in Wahrspruchworten, in Offenbarungen, in Streitgesprächen – ein erster Schritt, eine Verkündigung. Dann kommt es in diesem zweiten Schritt zu der Passion, zur Opferung, zu den Leidensschritten, zu dem Tod am Kreuz. Der dritte Schritt einer Wandlung in den Erdentiefen wird am Karsamstag, das Osterlicht entzündet, eine Verwandlung, eine Transsubstantiation. Und dann diese Himmel und Erde miteinander verbindenden Schritte zwischen Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten, wo Himmel und Erde in einer neuen Weise miteinander verbunden werden.
Ich habe mir sagen lassen, Herr Lauten hat mal einen Vortrag gehalten: "Das Leben Jesu als eine Menschenweihehandlung". Und da merkt man im Grunde genommen, dass dieser Kultus Michaels, das Leben Jesu als eine Menschenweihehandlung oder das Märchen Goethes sich doch in einer besonderen Weise miteinander verbinden und ineinander klingen.
Berlin-Moabit: Die Urzelle der Anthroposophie 00:25:33
Ich hatte vorhin davon gesprochen, dass Rudolf Steiner seinen ersten anthroposophischen Vortrag über Goethes Märchen gehalten hat. Und ich sagte Ihnen auch, wo er ihn gehalten hat: in Berlin-Moabit. Das weiß man erst seit einigen Jahren. Wenn Sie ein sehr verdienstvolles Buch von Manfred Kannenberg, "Rudolf Steiner in Berlin", zur Hand nehmen würden, dann würden Sie noch finden, dass diese Theosophische Bibliothek am Stuttgarter Platz in Berlin-Charlottenburg war. Vor etwa einigen Jahren sind allerdings Dokumente aufgetaucht. Robin Schmidt hat sie in einem kleinen Büchlein veröffentlicht, "Rudolf Steiner und die Theosophie", und da macht er darauf aufmerksam – diese Dokumente machen darauf aufmerksam – dass die Theosophische Bibliothek bis zum 24. März 1901 in Alt-Moabit 97 gewesen ist.
Das Haus, in dem das war, ist im Zweiten Weltkrieg zerbombt worden, heute ersetzt durch die hässlichen Gebäude des Berliner Spreebogens. Direkt daneben ist ein Fitnessstudio, McFit. Und man weiß... ein halbes Jahr... Rudolf Steiner hat an dieser Adresse Marie von Sivers kennengelernt, die damals als eine Deutsch-Baltin dorthin kam, weil sie seinen Vortragszyklus über "Die Mystik im Aufgang des neuzeitlichen Geisteslebens" erleben wollte. Der ist später verschriftlicht worden, Rudolf Steiner [hat] ihn damals mündlich gehalten.
Und dort in Alt-Moabit gab es ein ganz rühriges älteres Ehepaar, Graf und Gräfin Brockdorff. Vielleicht haben Sie es zur Kenntnis genommen: Vor 150 Jahren, im November 1875, ist die Theosophische Bewegung damals in Gesellschaft in New York gegründet worden und dieser Impuls hat sich auch nach Europa verbreitet. Und ein Ableger davon war in Berlin-Moabit. Dieses ältere Ehepaar hatte eine kleine Wohnung gemietet, da lebten sie wohl, da war eine Bibliothek und man hatte einen sogenannten Dienstagskreis, wo man immer wieder ausgewählte Dozenten einlud, die den Menschen dort Vorträge hielten. Und es war, glaube ich, eine sehr freigelassene Atmosphäre und man konnte sich in diesem Zusammenhang dann auch mit dem theosophischen Impuls, mit dieser Bibliothek verbinden.
Der Berliner Stadtteil Moabit ist ein sehr besonderer Bezirk in Deutschland und in der Bundeshauptstadt. Das ist eine künstlich angelegte Wasserinsel inmitten der deutschen Bundeshauptstadt im Tiergarten. Und um diese künstlich angelegte Wasserinsel betreten zu können, muss man, ich glaube, über 21 Brücken – über eine von 21 Brücken – über den Fluss, die Spree, hinübergehen, denn Berlin-Moabit ist umzogen von der Spree und von Wasserkanälen. Also es gibt die Lutherbrücke, die Gotzkowskybrücke, die... ich weiß nicht, wie sie alle heißen. Es gibt 21 Brücken, über die man über diesen Fluss hindurch muss.
Und Berlin-Moabit ist begründet worden von den Hugenotten, von französischen Glaubensflüchtlingen, Calvinisten, die aus dem vorrevolutionären Frankreich damals über den Rhein nach Deutschland geflohen sind und von dem Kurfürsten den sandigen Boden des Berliner Tiergartens zugewiesen bekommen haben. Die haben dort angefangen, diese Wasserinsel zu bilden. Am Anfang konnte man nur mit Kahn und Fährmann da hinüber gelangen, bis man dann Brücken gemacht hat nach Napoleon. Sie merken, ein bisschen die Bildsprache von Goethes Märchen kommt an diesem Ort selber dort hinzu. Und ansonsten pflanzte man Maulbeerbäume, um dort Seidenraupen zu züchten. Das war allerdings erfolglos.
Der Name Moabit – kennen Sie den? Was sind die Moabiter? Moabit ist ein territorialer Kleinstaat in Palästina im Heiligen Land und die Schwelle nach Kanaan, ins Gelobte Land. Moabit ist eine Schwelle, wie der Fluss in Goethes Märchen auch eine Schwelle ist. Die Israeliten, nach ihrer 40-jährigen Reise, stranden in Moabit, bevor sie nach Kanaan ins Gelobte Land kommen. Und da ist der König der Moabiter, Balak, der hat Angst, dass die zu mächtig werden und hat einen chaldäischen Magier oder Zauberer beauftragt, den Bileam: Er möge die Israeliten verfluchen. Und diese Geschichte, die Sie vielleicht alle kennen: Der Bileam reitet auf einer Eselin zu den Israeliten hin, um sie zu verfluchen. Und dann steht plötzlich ein Engel vor ihm, Michael, und die Eselin will nicht weiter reiten. Und der Bileam kann nur das aussprechen, was Gott ihm eingibt. Und dann breitet er beide Arme aus und segnet das israelitische Volk. Und dieser Segen des Bileam wird zur Schwelle, wodurch die Israeliten in das Gelobte Land nach Kanaan kommen können. Der Einzige, der nicht mit rüber darf, wer war das? Moses. Der hat einmal den Zorn Gottes erregt, weil er nicht an die Logos-Kräfte, an das Wasser des Lebens glaubte, was er aus dem Felsen herausschlagen sollte, und der stirbt im Reich der Moabiter.
Nach dieser Geschichte im Alten Testament – Moabit, Schwelle ins Gelobte Land – haben diese calvinistischen Hugenotten, die diese Wasserinsel mit eingerichtet haben – Brücken, die man dort bildet, Kahn und Fährmann, eine Schwelle – damals als eines ihrer Wirkensorte in Berlin... das war damals noch nicht Berlin, erst 1861 ist es dann nach Berlin eingemeindet worden. Jetzt taucht dort Michaeli 1900 wieder ein Prophet auf, der junge Rudolf Steiner. Der kommt nicht auf einer Eselin geritten, wahrscheinlich zu Fuß, und er soll auch nicht nur ein einzelnes Volk segnen, aber er soll einen Impuls setzen in dieser Theosophischen Bibliothek in Berlin-Moabit mit Goethes Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie, von der er später sagen wird, wie ich schon betont habe: Das war die Urzelle der Anthroposophie.
Diese Adresse, Alt-Moabit 97, ist neben Bolle – kennen Sie vielleicht Bolle, die Meierei? "Bolle reiste jüngst zu Pfingsten" – Berliner Meierei dort. Da wurde da die Milch zwischen Straßenbahnquietschen und Hufgetrappel [transportiert], [als] Steiner diesen Vortrag hielt, dann über die Spree und über die verschiedenen Kanäle in das Umland damals verschifft. Direkt auf der anderen Straßenseite dieser Adresse ist der Kleine Tiergarten, ein Seuchenkrankenhaus, relativ genau da die Stelle, wo vor einigen Jahren der russische Geheimdienst über diesen Georgier diesen Menschen erschossen hat. Können Sie sich erinnern? Es gab dann so einen Geiselaustausch. Das ist relativ gegenüber, wo Rudolf Steiner auch diesen Vortrag gehalten hat. Und links und rechts dieser Adresse ist das flankiert zwischen zwei Kirchen: der sogenannten St.-Johannis-Gemeinde, wo Albrecht Haushofer begraben ist, und auf der anderen Seite der sogenannten Heilandsgemeinde.
Friedrich Nietzsche und das Christuserlebnis 00:33:15
Nun ist da etwas sehr Bemerkenswertes: Bevor Rudolf Steiner über Goethes Märchen sprechen darf, hat man ihn erst mal am 22. September 1900 eingeladen zu einem Vortrag über Friedrich Nietzsche. Friedrich Nietzsche ist 1900 damals gestorben, über die Schwelle gegangen, und Rudolf Steiner soll über ihn sprechen. Und auch dieser Vortrag, der ist nicht mitstenografiert, genau wie der Vortrag eine Woche später über Goethes Märchen. Man kann allerdings aus anderen mitstenografierten Vorträgen, die er eine Woche vorher – Gedenknotizen über Nietzsche – gehalten hat, in etwa rekonstruieren, in welchem geistigen Umraum er sich mit Nietzsche damals beschäftigt hat.
Und das ist sehr bemerkenswert. Da sagt er etwas über Nietzsche, der ja einer der prägendsten Philosophen aus dem 19. bis ins 20. Jahrhundert war. Denken Sie an seine Wirkungen auf Thomas Mann, auf Heidegger, auf ganze Generationen von Menschen. Etwas sehr Erstaunliches, ja über Nietzsche, von dem er auch gesagt hat, der war am Ende seines Lebens ein Gefäß Ahrimans. Seine Werke "Der Antichrist", "Ecce Homo". Da ist Nietzsche direkt inspiriert worden aus der ahrimanischen Gegenschule, die wie ein Gegenbild sind zu diesem Kultus Michaels in den geistigen Welten, das Goethe ja in diesem Miniaturbild des Goethe'schen Märchens dann damals in die Welt gestellt hat.
Und Rudolf Steiner sagt etwas sehr Erstaunliches, wo ich oft gemerkt habe, dass das auch die Nietzsche-Kenner in unseren Kreisen gar nicht kennen. Er sagt: Alle Gedanken, die Nietzsche im 19. Jahrhundert gesagt hat, wären auch ohne ihn im 19. Jahrhundert da gewesen. Nietzsche hat nichts eigentlich Neues in das 19. Jahrhundert hineingebracht. Sein Genie, sagt er, besteht nicht in der Produktion origineller Gedanken. Hätte ich immer gedacht. Sondern, sagt er, die große Leistung für Nietzsche – und das wird man erst in der Zukunft erkennen – Nietzsche ist ein Märtyrer der Erkenntnis gewesen. Und er hat in seiner Sprache Worte für das gefunden, woran er litt: an dem geistigen Materialismus seiner Zeit. Das sagt er über dieselbe Gestalt, von der er später davon sprechen wird, dass Nietzsche ein Gefäß Ahrimans war. Er sagt: Ein Märtyrer der Erkenntnis, der in seiner Sprache Worte für das fand, was er litt unter dem Materialismus dieser Zeit.
Kommt Ihnen das in irgendeiner Weise bekannt vor? Wer war im 19. Jahrhundert noch ein Märtyrer der Erkenntnis? Überlegen Sie mal. Nietzsche ist verrückt geworden. Er hat ein Pferd umarmt, das geprügelt wurde. Manche sagen, da ist dieser Wahnsinn letztgültig ausgelöst worden. Er hat ab da dann in Turin als "der Gekreuzigte" unterschrieben. Ein Märtyrer der Erkenntnis, der auch an dem Materialismus seiner Zeit leidend fast so etwas wie einen geistigen Erstickungstod erlitten hat. Kennen Sie noch ein Wesen, das im 19. Jahrhundert so ein Schicksal erlitten hat?
Christus, sagt Rudolf Steiner. Christus sagt, im 19. Jahrhundert hat im Geistigen eine zweite Kreuzigung erfahren durch die Gedankenschwärze des Materialismus, die immer mehr Menschen in die geistige Welt hineingetragen haben. Ich finde das sehr erstaunlich, dass man sagen kann, dass dieses Nietzsche-Schicksal – den Steiner selber 1900, kurz vor seinem Vortrag über Goethes Märchen, einen Märtyrer der Erkenntnis bezeichnet, der im Grunde genommen auf Erden dasselbe Schicksal durchlitten hat wie der Christus in der geistigen Welt. Und er selber hat ja – darüber hatte er es später gesprochen, ich glaube "Vorstufen zum Mysterium von Golgatha" – wo er sagt, dieser geistige Erstickungstod des Christus, sein Märtyrertum der Erkenntnis, das wird im 20. Jahrhundert zur Auferstehung eines wiederkommenden Christus.
Diese beiden Erfahrungen, diese beiden geistigen Ereignisse, die stehen wie Tod und Auferstehung miteinander in Verbindung. Und man kann, wenn man diese beiden Vorträge... die muss man, meine ich, zusammennehmen: Steiner, der diesen geistigen Umraum über Nietzsche bewegt, ein Märtyrer der Erkenntnis, 22. September 1900, diese Gedankenschwärze, die Nietzsche erlitten hat, durch die er auch selber wie einen geistigen Erstickungstod durchlitten hat. Und dann eine Woche später wie eine Auferstehung sein Vortrag über Goethes Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie, wo er später sagen wird: "Da konnte ich zum ersten Mal ganz esoterisch werden und Worte sprechen, die aus der geistigen Welt selber heraus geprägt waren."
Mein sehr verehrter Kollege Arnold Suckau hat mich vor wenigen Wochen auf etwas aufmerksam gemacht. Rudolf Steiner hat ja in diesem Zeitraum damals gesagt, dass er selber ein Christuserlebnis gehabt hat. Und da spricht er davon, er sagt: "Auf das Geistige gestanden haben vor dem Mysterium von Golgatha in innerster, ernstester Erkenntnisfeier kam es in meiner Seelenentwicklung an." In seiner Berliner Zeit war er Lehrer an der Arbeiterbildungsschule, Redakteur für ein Literaturmagazin, der hat das in seinem Lebensgang, wo er diesen Satz sagt, nicht weiter verifiziert und nicht weiter dargestellt. Er sagt: "Auf das Geistige gestanden haben vor dem Mysterium von Golgatha in innerster, ernstester Erkenntnisfeier kam es in meiner Seelenentwicklung an."
Und Herr Suckau machte mich darauf aufmerksam, dass im November 1922 Rudolf Steiner in London Vorträge hält, wo er über dieses Christuserlebnis spricht. Da beschreibt er so eine Erfahrung, sagt derjenige, der das einmal erfahren hat, das war ich, und sagt, was das mit einem Menschen macht. Das Erste, was vollkommen unmöglich wird, sagt er, dass man in irgendeiner Weise mit seinem Gedankenleben versucht, dieses Ereignis zu begreifen, weil wir alle gelernt haben, unser Gedankenleben, das können wir immer nur auf die Sinneswelt anwenden. Man würde das auch nie beschreiben wollen, indem man das schriftlich niederschreibt. Er sagt, das geht eigentlich nur über das Fühlen, was gewissermaßen das, was man im Sinnlichkeitsfreien erlebt, dieses Erlebnis von Tod und Auferstehung, das gewissermaßen wahrnehmen kann. Und dann sagt er, man verliert erst einmal überhaupt die Kräfte, dass man seine Zunge bewegen kann, dass man das aussprechen kann. Ich lese es Ihnen kurz vor. Es ist einfach in seinen eigenen Worten:
"Die physische Welt wird durch all dasjenige, was er als geistige Welt erlebt, für ihn so, dass er sie außerordentlich schwer ergreifen kann. Er findet nicht seine Sprache, nicht die naive Tätigkeit seines Denkens, er findet nicht seine Arme, er findet den ganzen physischen Leib nicht. Man muss das Erlebnis durchmachen, erst wiederum diese physische Welt in Gedanken und die Sprache zu finden für das, was man in der übersinnlichen Welt erlebt. Das aber ist etwas, das einen in die Lage bringt, wie wenn man sich das Leben ein zweites Mal erobern müsste, wie wenn man durch eine selbstgeschaffene Geburt hindurchschreiten müsste."
Rudolf Steiner spricht von diesem Christus[erlebnis] ein bemerkenswertes Wort von einer "selbstgeschaffenen Geburt". Und meine Lesart ist, dass diese selbstgeschaffene Geburt der Scheitelpunkt, das Hypomochlion dieser beiden Vorträge ist. Einerseits das Todeserlebnis, Friedrich Nietzsche, Märtyrer der Erkenntnis, das gewissermaßen das Christusschicksal des geistigen Erstickungstodes im 19. Jahrhundert spiegelt. Und dann wie eine Auferstehung dazu, eine Woche später, sein Vortrag über Goethes Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie, wo er eine ganz neue Fähigkeit beschreibt, Worte zu sprechen, die aus der geistigen Welt selber heraus geprägt waren und im Grunde genommen ganz esoterisch über dieses Thema, mit dem er ein Jahrzehnt bereits gelebt und darüber gesprochen hat, das plötzlich auf diese neue Weise an die Menschen heranbringen zu können.
Und man kann natürlich fragen, dass die 20 freundlichen Menschen – wo er sagt, da hatte ich einen offenen Menschenkreis, da merkte ich in den Seelen etwas, dass ich auf diese neue Weise darüber sprechen kann – dass das auch alles Menschen waren, die im Vorgeburtlichen diesen Kultus Michaels in den geistigen Welten erlebt hatten. Zusammen mit Rudolf Steiner eine Erkenntnisfeier. Alle Menschen in diesem Michael-Kultus haben geistig vor dem Mysterium von Golgatha gestanden, in innerster, ernstester Erkenntnisfeier. Rudolf Steiner aber der Erste ist, der dieses Erlebnis auf der Erde neu erleben und als inkarnierter Mensch sozusagen durchleben kann. Und aus dieser Erfahrung heraus diese Fähigkeit hat, diese Urzelle der Anthroposophie an Michaeli 1900 in Berlin-Moabit, einer Schwelle, die von Brücken umgeben ist, einsenken zu lassen.
Berlin-Moabit und die Hugenotten 00:43:52
Eine Sache bei so viel Inhalt möchte ich Ihnen heute Abend noch mitgeben. Ich selber stamme aus Berlin-Moabit. Ich bin dort 18 Jahre aufgewachsen, fünf Minuten entfernt von dieser Adresse Alt-Moabit 97. Und ich kann Ihnen sagen, Berlin-Moabit ist ein Bezirk, den ich als Jugendlicher, als Kind nicht – aber überhaupt nicht mochte. Ich habe ihn verabscheut. Ich habe immer gesagt, ich komme aus Charlottenburg. Das klang irgendwie hipper oder cooler. Also Berlin-Moabit konnte ich mich schwer mit verbinden. Und es gibt noch ein zweites Schicksal, das mich auch mit diesem Thema erst einmal gegen meinen Willen verbunden hat.
Ich komme mütterlicherseits aus einer alten Hugenotten-Familie. Hugenotten, wie gesagt, eine [in] Berlin-Moabit gegründet damals. Und das ist ja von meiner Familie mütterlicherseits aber ganz hochgehalten worden. Ich habe einen Ururgroßvater oder Urururgroßvater, Karl Friedrich von Conta, der war Minister mit Goethe am Hof. Ich habe als Kind echte Goethebriefe an meinen Ururgroßvater in den Händen gehalten, weil der mit ihm damals in Weimar die Mineraliensammlung begründet hat. Meine Mutter hätte das gerne gesehen, dass ich dieses Hugenotten-Erbe weiterpflege. Es hat mich leider überhaupt nicht interessiert.
Jetzt starb sie im März dieses Jahres. Und ich kam zum ersten Mal zurück nach Moabit und Wohnung ausräumen. Sie kennen das alle, was dann dazugehört. Das ganze Hugenotten-Erbe, sie hat einen riesen Stammbaum der Hugenotten, die über den Rhein kamen, damals in eine Datenbank eingetragen. Eine ganz tolle Lebensleistung, der ich aber immer etwas fremd gegenüberstand. Und stellte zwei Dinge fest in Moabit, die mich ein bisschen wie ein Schlag getroffen haben. Das eine habe ich Ihnen schon erzählt: Das Grab von Albrecht Haushofer ist direkt auf der anderen Straßenseite des Ortes, wo Rudolf Steiner seinen Vortrag über Goethes Märchen hält. Und das andere, dass das Haus, in dem Rudolf Steiner seinen Vortrag über Goethes Märchen hält – die Urzelle der Anthroposophie – auf dem Haus der Hugenotten stand, in dem sie damals in Moabit lebten. Also genau Moabit 98, 97.
Gibt ja diesen Satz: "Das Künftige ruhe auf Vergangenem." Hat immer eine Bedeutung, dass das Goetheanum auch auf diesem Hügel steht, bei der Ermitage. Ein neuer geistiger Impuls kann sozusagen nicht in einem luftleeren Raum beginnen, der muss immer konkret an etwas anknüpfen. Und dann dachte ich, als ich das feststellte: Akzeptiere dein Schicksal, du mochtest Moabit nicht, Hugenotten konntest du nichts anfangen – vielleicht kannst du ein Stück weit suchen, warum Rudolf Steiner diese Urzelle der Anthroposophie gerade an einem solchen Ort damals eingesenkt und begründet hat. Ich glaube nicht, dass das ein Zufall ist. Die Keimzelle der Michael-Schule auf Erden.
Ich hatte dann noch die Erfahrung... meine Mutter ließ sich dann... das nur aus dem Nähkästchen geplaudert, da lernt man die Hugenotten auch ein bisschen kennen, staunt noch mehr, was Steiner gerade dort hat anknüpfen lassen. Die hat sich dann auf dem Hugenotten-Friedhof meiner Mutter für die französische Gemeinde Berlin am Gendarmenmarkt, Berlin in der Chausseestraße nach so einem Hugenotten-Bestattungsgottesdienst bestatten lassen. Wenn man Pfarrer der Christengemeinschaft ist, ist es erst mal ein Kulturschock. Das ist nämlich das absolute Kontrastprogramm zu uns.
Im Calvinismus gibt es diese Prädestinationslehre: Alles ist vorbestimmt, ob man gutes oder schlecht... ein gutes oder schlechtes Schicksal hat. Es ist die Absage an jede Form von Liturgie oder Imagination, ein ganz nüchterner Wortgottesdienst, in dem nur das Wort Gottes aus dem Evangelium verkündet und interpretiert wird. Die Predigt bestand daraus, dass ein sehr freundlicher Pfarrer, der das sehr schön auf seine Art gemacht hat, dann sagte: "Da ist jemand an einem Schlaganfall gestorben, wir müssen an diesem Tod klug werden." Genau, so habe ich auch geguckt, da nicht verstanden, was der meint. So denken die. Das ist so, also die Rationalität, man kann daran klug werden, keine Imagination, keine Liturgik.
Ja gut, das war die Erfahrung und unter dieser Erfahrung dieses Gottesdienstes habe ich mich ein bisschen auf die Suche gemacht. War auch eine Suche, wenn Sie so wollen, nach meiner eigenen Vergangenheit: Wer sind die Hugenotten, dass Steiner an einem solchen Platz über Goethes Märchen spricht? Da ist – und das will ich Ihnen am Ende noch mitgeben – doch einiges Bemerkenswertes zu finden. Die Hugenotten – Karl Heyer, der Historiker, der Anthroposophische, hat mal über sie gesagt: Mit den Hugenotten zogen aus Frankreich der Geist der fünften nachatlantischen Kulturepoche – deren Repräsentanten in Frankreich die Hugenotten waren – über den Rhein nach Deutschland und haben damit diese vierte nachatlantische Kulturepoche des vorrevolutionären Frankreichs, ja die Verfolgung durch Ludwig XIV., verlassen und diesen Impuls nach Deutschland gebracht.
Und das Erstaunliche ist, die Hugenotten in Deutschland, namentlich in Berlin-Brandenburg, haben als erstes in besonderer Weise auf die Dreigliederung des sozialen Organismus gewirkt. Die haben ganz starke Impulse in das Wirtschaftsleben gebracht, Handel und Gewerbe, das ist richtig aufgeblüht in Preußen damals. Starke Impulse auf das Geistesleben, die Preußische Akademie, die spätere Humboldt-Akademie, in der Alexander von Humboldt und auch die Brüder Grimm damals studiert haben. Und starke Impulse auf das Rechtsleben. Die ganze preußische Verwaltung ist von diesem Militärverwaltungsapparat aus Frankreich durch die Hugenotten inspiriert worden. Das ist jetzt noch nicht Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Ja, aber Rudolf Steiner sagte immer: Dreigliederung ist kein Konstrukt, das man auf den sozialen Organismus überstülpt, der soziale Organismus ist dreigliedrig. Und die Hugenotten hatten diesen Grundgestus, diesen sozialen Organismus dreigliedrig anzugehen.
Wenn sie schon tiefe Sympathie für das Hugenottentum haben, dann muss ich aber was anderes noch dazustellen. Da schrieb jemand: "Vielleicht hat sich nirgendwo das Christentum jemals so diesseitig in seinem Streben, so bildlos und zugleich abstrakt in seinem Ausdruck, so intellektuell in seinem Anspruch, so alttestamentarisch in seinem Nachklang, so egoistisch in seinen Anreizen, so ohne jegliche liturgische Form in seiner Andacht und so ohne spirituelle mystische Tiefe in seiner Impulsierung ausgebildet als die französisch-reformierten." Man kann sagen, mit den französischen Calvinisten ist das Christentum zu einer Diesseits-Religion geworden. Was Nietzsche sagt, "Fluch auf das Christentum", das hat – wie sagt er, ich bringe es immer durcheinander – die Lüge vom Jenseits... wie sagt er das, kennen Sie das? Er sagt, zu der Illusion des Diesseits... ich weiß es nicht, jetzt habe ich ein Blackout. Man sagt bei den Hugenotten ist es umgekehrt. Die haben sozusagen das Diesseits abgelehnt, das Jenseits abgelehnt und sich ganz auf das Diesseits gerichtet. Man kann natürlich sagen, mit den Hugenotten wird das Mittelalter und sein Aberglaube mit einem Desinfektionstuch sozusagen das Christentum einmal gereinigt. Woanders als dort hätte Rudolf Steiner einen Vortrag über die Mystik im Aufgang des neuzeitlichen Geisteslebens halten können, auf einem Hugenottenplatz, denn er hat natürlich immer sich in der Theosophischen Gesellschaft gegen den Mystizismus der verworrenen Köpfe und das Schibboleth, wie er sagt, altorientalischer Mystik gewehrt.
Verfolgung und geistiger Kampf: Katharer, Templer, Hugenotten 00:52:26
Jetzt ist etwas sehr Erstaunliches. Im zweiten nachchristlichen Jahrtausend finden dreimal in Frankreich genozidale Verfolgungen von christlichen Glaubensgemeinschaften statt. Einmal die Katharer-Feldzüge, die sogenannten Albigenserkreuzzüge, Kreuzzug gegen den Gral, die eine neue Kulturepoche vorbereiten wollten. Das zweite Mal die Vernichtung des Templerordens im 14. Jahrhundert durch den französischen König und durch den Papst. Und dann das dritte Mal gegen die französisch-reformierten, die Calvinisten, während der sogenannten Hugenottenkriege im 16. Jahrhundert. Und man schätzt, dass allein in der sogenannten Bartholomäusnacht 200.000 Menschen in einem genozidalen Akt ermordet worden sind. Man hat das wie in Frankreich bei den Albigensern gemacht. Man hat dem tobenden Pöbel freie Beute und gleichzeitig Sündenablass versprochen. Die Straßen von Paris müssen in Blut geschwommen haben.
Nun ist die Frage: Diese, man möchte sagen, soratisch-ahrimanischen Angriffe, die sind uns bei den Templern und bei den Katharern, glaube ich, schnell eindeutig. Denn das waren ja spirituelle Bewegungen, die künftige Kulturepochen oder zumindest eine Durchchristung des ganzen europäischen Lebens damals angestrebt haben. Das – wir würden heute sagen – triggert immer natürlich die entsprechenden Gegenkräfte. Was hat bitte diesen gewaltigen genozidalen Hass bei den französischen Calvinisten, bei den Hugenotten gegen sie angerichtet? Man kann natürlich historisch sagen, da geht es um dynastische Streitereien, aber das ist ein bisschen wie mit dem Dreißigjährigen Krieg, da geht es auch um religionshistorische dynastische Streitereien. Und Steiner sagt trotzdem, das, was dahinter verhandelt wurde, symptomatologisch betrachtet, ist das Rosenkreuzertum.
Dieselbe Frage müssen wir bei den französischen Calvinisten stellen und ich meine, es kann nur eine einzige Erklärung geben. Zeitgleich zu dem Angriff gegen die Hugenotten findet ab dem 16., 17. Jahrhundert die Michaelsschule in der geistigen Welt statt. Die Michaelsschule, die einmündet in den Kultus Michaels in den geistigen Welten, von dem Rudolf Steiner sagt: Goethe hat ein Miniaturbild dieses Kultus in sein Märchen hineingegossen. Und er sagt zugleich, die stärksten... es hat die größte Beunruhigung unter den ahrimanischen Dämonen angerichtet, was Michael innerhalb dieses Kultus und innerhalb seiner Schule damals dort in den geistigen Welten vor den Seinen vollzogen hat.
Und die Hugenotten, die dann über den Rhein nach Deutschland ziehen, haben ja die Aufgabe, mit Berlin-Moabit einen Boden zu bereiten, in dem Rudolf Steiner an Michaeli 1900 mit diesem ersten Vortrag über Goethes Märchen diese Urzelle der Anthroposophie in den Boden einsenken kann. Denn man kann sagen, inmitten der von Brücken umgebenen Wasserinsel von Moabit, ja, da hält Rudolf Steiner diesen Vortrag über Goethes Märchen, in der eine Brücke geschlagen wird vom Reich der Schlange ins Reich der Lilie. Und dieser Vortrag selber wird zu der Brücke ins 20. Jahrhundert, in der die neuen Mysterien und die Michaelsschule auf Erden gewissermaßen erneuert werden.
Und ich glaube, diese Aufgabe der Hugenotten, ja, diesen Geist der fünften nachatlantischen Kulturepoche abspiegelnd, halbbewusst diesem Kultus Michaels in der geistigen Welt entgegen, das nach Deutschland, nach Berlin zu tragen, dass Rudolf Steiner dort anknüpfen kann, das hat diesen ungeheuren Hass der ahrimanischen Dämonen, die hinter diesen Hugenottenkriegen standen, gewissermaßen angefacht. Denn das Ereignis dieses Kultus Michaels in der geistigen Welt konnten sie nicht verhindern. Was sie versucht haben anzugreifen, ist die religiöse Glaubensgemeinschaft, die die Aufgabe haben wird, über den Rhein nach Deutschland zu ziehen und selber einen Bezirk Moabit zu gründen, von dem man in seiner Bildsprache das Gefühl haben kann, der ist selber wie ein Miniaturbild dieses Goethe'schen Märchens.
Denn mit Berlin-Moabit kommt das Hugenottentum gewissermaßen an seinen Nullpunkt. Die Absage an alles Imaginative, die zeigt sich darin, dass die Bildsprache von Goethes Märchen eigentlich in dieser Art und Weise, wie Berlin-Moabit damals begründet worden ist, gewissermaßen hindurchleuchtet. Die Absage an alles kultisch-liturgische... Rudolf Steiner, der durch das gesprochene Wort sagt: "Konnte ich Worte finden, die wieder ganz esoterisch werden konnten und aus der geistigen Welt selber herausgeprägt waren." Das gesprochene Wort über Goethes Märchen wird selber wieder kultisch und liturgisch. Und da merkt man – auf der anderen Seite der Goethe'sche Satz: "Ein Teil, der stets das Böse will und stets das Gute schafft" – dass die Kräfte, die die Hugenotten gewissermaßen zu vernichten versucht haben, gleichzeitig ja auch wieder das in Bewegung gesetzt haben, was dann in Deutschland, in Berlin, den Boden für diese Urzelle der Anthroposophie damals bewerkstelligt haben. Also das Ganze für eine platonisch gestimmte Seele freut sich da an der Bildhaftigkeit.
Albrecht Haushofer und das Gedicht "Christus Resurrexit" 00:58:33
Vielleicht kann man sagen, die Gründung von Moabit ist die Verkündigung. Rudolf Steiners Christus-Erlebnis zwischen dem Vortrag Nietzsches und dem Vortrag über Goethes Märchen ist das Opfer der Schlange, die selber in Edelsteine zerfällt, damit dieser Vortrag zu einer Brücke werden kann. Und dann öffnen sich 45 Jahre später ebenfalls, wie fast in einem Anschluss in Berlin-Moabit, auch ein unterirdischer Tempel, über den ich damals im März gesprochen habe: Albrecht Haushofer, der ja auch in Berlin-Moabit ein Christus-Erlebnis hatte, das er hat einmünden lassen in dieses wunderbare Gedicht "Christus Resurrexit".
"In tausend Bildern habe ich ihn gesehen,
als Weltenrichter zornig und erhaben,
als Dorngekrönten, als Madonnenknaben.
Keines konnte ganz in ihm bestehen,"
dichtet er über das Auferstehungsbild Matthias Grünewalds Isenheimer Altar.
"Jetzt fühle ich, dass nur eines gültig ist,
wie sich dem Meister Mathis er gezeigt.
Nicht der Fahle, der zum Tod sich neigt,
der Lichtumflossene, dieser ist der Christ.
Nicht Menschenkunst allein hat so gemalt,
dem Grabesdunkel schwerelos entschwebend,
das Haupt von goldenem Leuchten ringsumwebend,
von allen Farben geisterhaft umstrahlt,
noch immer Wesen, dennoch grenzenlos
fährt Gottes Sohn empor zu Gottes Schoß."
Warum spreche ich Ihnen dieses Gedicht in einem Vortrag über Goethes Märchen? Weil auch dieses Gedicht vier Stufen hat. Vier Stufen, die wir aus dem Goethe'schen Märchen und aus dem Kultus Michaels kennen. Eine Verkündigung am Anfang: In tausend Bildern habe ich Christus gesehen. Jetzt fühle ich, dass nur eines gültig ist. Der Fahle, der zum Tod sich neigende, das Opfer. Albrecht Haushofer, der das unter den schwersten Kriegsbedingungen der Bombardierung in den letzten Kriegstagen niedergeschrieben hat. "Dem Grabesdunkel schwerelos entschwebend, das Haupt von goldenem Leuchten ringsumwebend" – da verwandelt sich etwas in ein "noch immer Wesen, dennoch grenzenlos fährt Gottes Sohn empor zu Gottes Schoß".
Und auch so ein Gedicht aus den Moabiter Sonetten, das Albrecht Haushofer in Moabit geschrieben hat, ist wie ein Miniaturbild des Goethe'schen Märchens, über das Steiner in Moabit gesprochen hat. Und Sie merken, dadurch klingen sich Dinge ineinander, die plötzlich in einer besonderen Weise in ein Gespräch gehen. Und vielleicht kann man sagen, die Moabiter Sonette, das ist gewissermaßen die Kommunion, wo das Ganze an Moabit, was da einmal von den Hugenotten selber eingerichtet worden ist, jetzt weiter in der Welt aufgefunden werden kann.
In diesem Jahr habe ich mir vorgenommen, wenn man mich fragt, woher ich komme: Ich sage nicht mehr aus Charlottenburg, ich sage mit einer demütigen und trotzdem Freude: Ich komme aus Moabit. Es ist ein zukünftiger Bezirk und es ist erstaunlich, in welcher Weise Ereignisse zwischen Himmel und Erde in der Geschichte des 20. Jahrhunderts da doch in einer besonderen Weise immer wieder zusammengewirkt haben. Steiner sagt selber, man darf nicht aufhören mit diesem Goethe'schen Märchen. Und das zeigt diese Geschichte, glaube ich, auch mit Haushofer, dass dieser Kultus Michaels in den geistigen Welten ein Impuls ist, der seine ätherischen Wirkungen in den Sehnsüchten der Menschen, die den Impuls nach Anthroposophie auf die Erde bringen, uns allen ja in immer neuer Weise auch weiter wirken kann.
Das wollte ich Ihnen heute Abend mitgeben. Es ist zehn nach und ich glaube, damit ist es auch genug. Herzlichen Dank für die Einladung. Ich freue mich aufs nächste Mal zu Johanni im nächsten Jahr.
Herr Röhm:
Wollen Sie noch sagen, worüber, oder ist das noch sub rosa?
Michael Rheinheimer:
Der nächste Vortrag ist... oder ist das noch sub rosa? Das ist jetzt fest. Ja, das weiß ich, aber das Thema. Soll ich das sagen? Nein, das lassen wir noch ein bisschen geheim.
Herr Röhm:
Alles klar, gut. Das Thema ist wie immer bei Michael Rheinheimer eine Überraschung. Man denkt an was ganz anderes und es kommt genau, was sein muss. Es gibt ja keine Zufälle. Ja, ganz toll.
Michael Rheinheimer:
Ich bin zufällig in Bad Karlshafen, an der Weser, da gibt es ein Hugenotten-Museum. Da war meine Mutter hochaktiv. In einem ganz tollen ehemaligen Brauerei oder so. Ja, ich war nie da. Ich habe mich ja nie dafür interessiert. Das tut mir so leid. Meine Frau ist auch Hugenottin. Das nennt sich Bougie.
Herr Röhm:
Ja, genau. Es ist da auch etwas drin enthalten.
Michael Rheinheimer:
Ja, er sagt: "In tausend Bildern habe ich Christus gesehen. Ja, Weltenrichter, Dorngekrönter, Madonnenknabe." Da wird verkündet, in welcher Weise der Christus dargestellt wird. Und dann gibt es den zweiten Schritt. Jetzt, jetzt ist bei Haushofer: "Ich werde bombardiert, in meiner Zelle rattenhaft verwahrt. Da fühle ich, wie nur eines gültig ist. Nicht der Fahle, der zum Tode sich neigende, der Sterbende." In dieser eigenen Opfersituation merkt er, das ist aber noch nicht der Christus. "Nicht Menschenkunst allein hat so gemalt. Dem Grabesdunkel schwerelos entschwebend, das Haupt von goldenem Leuchten ringsumwebend." Da kommt es zu einer Wandlung. Ja, da kommt sozusagen aus dem Unterirdischen nicht nur die Auferstehung, sondern auch die Welt der Verstorbenen, von der er sonst berichtet. Und dann am Schluss: "Noch immer Wesen, dennoch grenzenlos, fährt Gottes Sohn empor zu Gottes Schoß." Die Verbindung von Himmel und Erde. Das ist jetzt nicht so erstaunlich, Sonette kommen aus Friedrich dem Zweiten aus Sizilien. Ja, das sind sozusagen spirituelle Formen. Die haben auch immer eine liturgische Handlung. Alle Sonette von Haushofer sind nach diesen vier Schritten. Aber in diesem Gedicht kommt es in einer besonderen Weise zum Ausdruck. Und es ist natürlich sprechend dafür, diese vier Schritte der Weihehandlung, Kultus Michael, Goethes Märchen, in welcher Weise das ineinander klingt. Kommunion, ja, also Verbindung. Verbindung zwischen dem Reich der Schlange und dem Reich der Lilie, wenn wir so wollen.
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