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4. Nebenübung von Rudolf Steiner
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Positivität (4. Nebenübung)
Rudolf Steiner verwendet für diese 4. Nebenübung wiederum verschiedene Namen, Positivität, Unbefangenheit, Sinn für Bejahung, Vertrauen in die Umwelt und Standhaftigkeit. Wiederum beschreiben all diese Namen zusammen den Wesenskern der 4. Nebenübung.
Eine Auswahl von Rudolf Steiner Zitaten für die 4. Nebenübung
Seelenübungen mit Wort- und Sinnbild ... | GA 267, S. 58f
- «Im vierten Monat soll man als neue Übung die sogenannte Positivität aufnehmen. Sie besteht darin, allen Erfahrungen, Wesenheiten und Dingen gegenüber stets das in ihnen vorhandene Gute, Vortreffliche, Schöne usw. aufzusuchen. Am besten wird diese Eigenschaft der Seele charakterisiert durch eine persische Legende über den Christus Jesus. Als dieser mit seinen Jüngern einmal einen Weg machte, sahen sie am Wegrande einen schon sehr in Verwesung übergegangenen Hund liegen. Alle Jünger wandten sich von dem häßlichen Anblick ab, nur der Christus Jesus blieb stehen, betrachtete sinnig das Tier und sagte: Welch wunderschöne Zähne hat das Tier! Wo die andern nur das Häßliche, Unsympathische gesehen hatten, suchte er das Schöne. So muß der esoterische Schüler trachten, in einer jeglichen Erscheinung und in einem jeglichen Wesen das Positive zu suchen. Er wird alsbald bemerken, daß unter der Hülle eines Häßlichen ein verborgenes Schönes, daß selbst unter der Hülle eines Verbrechers ein verborgenes Gutes, daß unter der Hülle eines Wahnsinnigen die göttliche Seele irgendwie verborgen ist. Diese Übung hängt in etwas zusammen mit dem, was man die Enthaltung von Kritik nennt. Man darf diese Sache nicht so auffassen, als ob man schwarz weiß und weiß schwarz nennen sollte. Es gibt aber einen Unterschied zwischen einer Beurteilung, die von der eigenen Persönlichkeit bloß ausgeht und Sympathie und Antipathie nach dieser eigenen Persönlichkeit beurteilt. Und es gibt einen Standpunkt, der sich liebevoll in die fremde Erscheinung oder das fremde Wesen versetzt und sich überall fragt: Wie kommt dieses Andere dazu, so zu sein oder so zu tun? Ein solcher Standpunkt kommt ganz von selbst dazu, sich mehr zu bestreben, dem Unvollkommenen zu helfen, als es bloß zu tadeln und zu kritisieren. Der Einwand, daß die Lebensverhältnisse von vielen Menschen verlangen, daß sie tadeln und richten, kann hier nicht gemacht werden. Denn dann sind diese Lebensverhältnisse eben solche, daß der Betreffende eine richtige okkulte Schulung nicht durchmachen kann. Es sind eben viele Lebensverhältnisse vorhanden, die eine solche okkulte Schulung in ausgiebigem Maße nicht möglich machen. Da sollte eben der Mensch nicht ungeduldig verlangen, trotz alledem Fortschritte zu machen, die eben nur unter gewissen Bedingungen gemacht werden können. Wer einen Monat hindurch sich bewußt auf das Positive in allen seinen Erfahrungen hinrichtet, der wird nach und nach bemerken, daß sich ein Gefühl in sein Inneres schleicht, wie wenn seine Haut von allen Seiten durchlässig würde und seine Seele sich weit öffnete gegenüber allerlei geheimen und subtilen Vorgängen in seiner Umgebung, die vorher seiner Aufmerksamkeit völlig entgangen waren. Gerade darum handelt es sich, die in jedem Menschen vorhandene Aufmerksamlosigkeit gegenüber solchen subtilen Dingen zu bekämpfen. Hat man einmal bemerkt, daß dies beschriebene Gefühl wie eine Art von Seligkeit sich in der Seele geltend macht, so versuche man dieses Gefühl im Gedanken nach dem Herzen hinzulenken und es von da in die Augen strömen zu lassen, von da hinaus in den Raum vor und um den Menschen herum. Man wird bemerken, daß man ein intimes Verhältnis zu diesem Raum dadurch erhält. Man wächst gleichsam über sich hinaus. Man lernt ein Stück seiner Umgebung noch wie etwas betrachten, das zu einem selber gehört. Es ist recht viel Konzentration zu dieser Übung notwendig und vor allen Dingen ein Anerkennen der Tatsache, daß alles Stürmische, Leidenschaftliche, Affektreiche völlig vernichtend auf die angedeutete Stimmung wirkt. Mit der Wiederholung der Übungen von den ersten Monaten hält man es wieder so, wie für frühere Monate schon angedeutet ist.»[1] [Lit.: GA 267, S. 58f]
Geheimwissenschaft im Umriss, 1909 | GA 13, S. 334f
- «Für das Denken und Fühlen ist ein weiteres Bildungsmittel die Erwerbung der Eigenschaft, welche man Positivität nennen kann. Es gibt eine schöne Legende, die besagt von dem Christus Jesus, daß er mit einigen andern Personen an einem toten Hund vorübergeht. Die andern wenden sich ab von dem häßlichen Anblick. Der Christus Jesus spricht bewundernd von den schönen Zähnen des Tieres. Man kann sich darin üben, gegenüber der Welt eine solche Seelenverfassung zu erhalten, wie sie im Sinne dieser Legende ist. Das Irrtümliche, Schlechte, Häßliche soll die Seele nicht abhalten, das Wahre, Gute und Schöne überall zu finden, wo es vorhanden ist. Nicht verwechseln soll man diese Positivität mit Kritiklosigkeit, mit dem willkürlichen Verschließen der Augen gegenüber dem Schlechten, Falschen und Minderwertigen. Wer die «schönen Zähne» eines toten Tieres bewundert, der sieht auch den verwesenden Leichnam. Aber dieser Leichnam hält ihn nicht davon ab, die schönen Zähne zu sehen. Man kann das Schlechte nicht gut, den Irrtum nicht wahr finden; aber man kann es dahin bringen, daß man durch das Schlechte nicht abgehalten werde, das Gute, durch den Irrtum nicht, das Wahre zu sehen.»[2] [Lit.: GA 13, S. 334f]
Wie erlangt man Kenntnis von höheren Welten? | GA 10, S. 128f
- «Das vierte ist die Duldsamkeit (Toleranz) gegenüber Menschen, anderen Wesen und auch Tatsachen. Der Geheimschüler unterdrückt alle überflüssige Kritik gegenüber dem Unvollkommenen, Bösen und Schlechten und sucht vielmehr alles zu begreifen, was an ihn herantritt. Wie die Sonne ihr Licht nicht dem Schlechten und Bösen entzieht, so er nicht seine verständnisvolle Anteilnahme. Begegnet dem Geheimschüler irgendein Ungemach, so ergeht er sich nicht in abfälligen Urteilen, sondern er nimmt das Notwendige hin und sucht, soweit seine Kraft reicht, die Sache zum Guten zu wenden. Andere Meinungen betrachtet er nicht nur von seinem Standpunkte aus, sondern er sucht sich in die Lage des anderen zu versetzen.»[3][Lit.: GA 10, S. 128f]
Aus den Inhalten der esoterischen Stunden, Band III, Leipzig, 2. Januar 1914 | GA 266/3, S. 243f
- «Schließlich muß ich auch noch dazu kommen, mein Ich kennenzulernen. Ich kann mein Ich nicht erfühlen, weil ich in ihm lebe. Daher müssen wir es in die Welt ausgießen. Mein Ich lerne ich kennen durch das, was wir bezeichnen als Positivität (Gleichnis vom Hunde).Wenn wir es machen wie der Christus-Jesus, so sehen wir nicht das Häßliche, sondern tauchen soweit hinein in alles, daß wir an das Gute kommen. Auf diese Weise kommen wir los von unserm Ich und können es beobachten. Ich ist Liebe und Wille. Durch den entwickelten Willen lernen wir erkennen die Substanz aller Dinge, die im Göttlichen urständet. Durch die Liebe lernen wir das Wesen der Dinge miterleben. So dringen wir durch Wille und Liebe vor zum Erkennen, das frei ist vom persönlichen Ich. Als geistiges Ich lernen wir untertauchen in Wesen und Substanz aller Dinge, die ja aus dem geistigen Vater-grund stammen, wie auch unser eigenes Ich. Unser Ich schaut uns aus allem Geschaffenen an («Schwan»). Der Schüler erreicht die Stufe des «Schwan», wenn er das erleben kann.»[4] [GA 266/3, S. 243f]
Über die astrale Welt und das Devachan | GA 88, S. 178
- «Toleranz. Der Chela wird sich nicht von Gefühlen der Anziehung und des Abgestoßenwerdens beherrschen lassen. Er wird alle Verbrecher und Heilige zu verstehen suchen, und obgleich er emotionell erfährt, wird er intellektuell urteilen. Was von dem einen Gesichtspunkt richtig als böse erkannt wird, kann von einem höheren Aspekt als notwendig und folgerichtig beurteilt werden.»[5] [Lit.: GA 88, S. 178f]
Vorträge vor der Anthroposophischen Gesellschaft in Stuttgart: Vor dem Tore der Theosophie | GA 95, S. 118f
- «Unbefangenheit. Das vierte ist, was man als Unbefangenheit bezeichnen kann. Das ist diejenige Eigenschaft, die in allen Dingen das Gute sieht. Sie geht überall auf das Positive in den Dingen los. Als Beispiel können wir am besten eine persische Legende anführen, die sich an den Christus Jesus knüpft: Der Christus Jesus sah einmal einen krepierten Hund am Wege liegen. Jesus blieb stehen und betrachtete das Tier, die Umstehenden aber wandten sich voll Abscheu weg ob solchen Anblicks. Da sagte der Christus Jesus: Oh, welch wunderschöne Zähne hat das Tier! Er sah nicht das Schlechte, das Häßliche, sondern fand selbst an diesem eklen Kadaver noch etwas Schönes, die weißen Zähne. Sind wir in dieser Stimmung, dann suchen wir in allen Dingen die positiven Eigenschaften, das Gute, und wir können es überall finden. Das wirkt in ganz mächtiger Weise auf den physischen und Ätherleib ein.»[6] [Lit.: GA 95, S. 118f]
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Literatur
- Rudolf Steiner: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, GA 10 (1993), ISBN 3-7274-0100-1
- Rudolf Steiner: Die Stufen der höheren Erkenntnis, GA 12 (1993), ISBN 3-7274-0120-6
- Rudolf Steiner: Die Geheimwissenschaft im Umriß, GA 13 (1989), ISBN 3-7274-0130-3
- Rudolf Steiner: Über die astrale Welt und das Devachan, GA 88 (1999), ISBN 3-7274-0880-4
- Rudolf Steiner: Kosmogonie, GA 94 (2001), ISBN 3-7274-0940-1
- Rudolf Steiner: Vor dem Tore der Theosophie, GA 95 (1990), ISBN 3-7274-0952-5
- Rudolf Steiner: Das christliche Mysterium, GA 97 (1998), ISBN 3-7274-0970-3
- Rudolf Steiner: Anweisungen für eine esoterische Schulung (Sonderausgabe), (GA 245) (1993), ISBN 3-7274-5515-2
- Rudolf Steiner: Aus den Inhalten der esoterischen Stunden, Band III: 1913 und 1914; 1920 – 1923, GA 266/3 (1998), ISBN 3-7274-2663-2
- Rudolf Steiner: Seelenübungen mit Wort- und Sinnbild-Meditationen, GA 267 (2001), ISBN 3-7274-2670-5
Einzelnachweise
- ↑ Rudolf Steiner: Seelenübungen mit Wort- und Sinnbild-Meditationen, [GA 267, S. 58f]
- ↑ Rudolf Steiner: Die Geheimwissenschaft im Umriß, [GA 13, S. 334f]
- ↑ Rudolf Steiner: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, [GA 10, S. 128f]
- ↑ Rudolf Steiner: Aus den Inhalten der esoterischen Stunden, Band III, [GA 266/3, S. 243f]
- ↑ Rudolf Steiner: Über die astrale Welt und das Devachan, [GA 88, S. 178]
- ↑ Rudolf Steiner: Vor dem Tore der Theosophie, [GA 95, S. 118f]