4. Nebenübung von Rudolf Steiner: Unterschied zwischen den Versionen

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=== Seelenübungen mit Wort- und Sinnbild ... | GA 267, S. 58f ===
=== Seelenübungen mit Wort- und Sinnbild ... | GA 267, S. 58f ===
:«Im vierten Monat soll man als neue Übung die sogenannte Positivität aufnehmen. Sie besteht darin, allen Erfahrungen, We­senheiten und Dingen gegenüber stets das in ihnen vorhandene Gute, Vortreffliche, Schöne usw. aufzusuchen. Am besten wird diese Eigenschaft der Seele charakterisiert durch eine persische Legende über den Christus Jesus. Als dieser mit seinen Jüngern einmal einen Weg machte, sahen sie am Wegrande einen schon sehr in Verwesung übergegangenen Hund liegen. Alle Jünger wandten sich von dem häßlichen Anblick ab, nur der Christus Jesus blieb stehen, betrachtete sinnig das Tier und sagte: Welch wunderschöne Zähne hat das Tier! Wo die andern nur das Häß­liche, Unsympathische gesehen hatten, suchte er das Schöne. So muß der esoterische Schüler trachten, in einer jeglichen Erschei­nung und in einem jeglichen Wesen das Positive zu suchen. Er wird alsbald bemerken, daß unter der Hülle eines Häßlichen ein verborgenes Schönes, daß selbst unter der Hülle eines Verbre­chers ein verborgenes Gutes, daß unter der Hülle eines Wahnsin­nigen die göttliche Seele irgendwie verborgen ist. Diese Übung hängt in etwas zusammen mit dem, was man die Enthaltung von Kritik nennt. Man darf diese Sache nicht so auffassen, als ob man schwarz weiß und weiß schwarz nennen sollte. Es gibt aber einen Unterschied zwischen einer Beurteilung, die von der eigenen Per­sönlichkeit bloß ausgeht und Sympathie und Antipathie nach dieser eigenen Persönlichkeit beurteilt. Und es gibt einen Stand­punkt, der sich liebevoll in die fremde Erscheinung oder das fremde Wesen versetzt und sich überall fragt: Wie kommt dieses Andere dazu, so zu sein oder so zu tun? Ein solcher Standpunkt kommt ganz von selbst dazu, sich mehr zu bestreben, dem Un­vollkommenen zu helfen, als es bloß zu tadeln und zu kritisieren. Der Einwand, daß die Lebensverhältnisse von vielen Menschen verlangen, daß sie tadeln und richten, kann hier nicht gemacht werden. Denn dann sind diese Lebensverhältnisse eben solche, daß der Betreffende eine richtige okkulte Schulung nicht durch­machen kann. Es sind eben viele Lebensverhältnisse vorhanden, die eine solche okkulte Schulung in ausgiebigem Maße nicht mög­lich machen. Da sollte eben der Mensch nicht ungeduldig verlan­gen, trotz alledem Fortschritte zu machen, die eben nur unter gewissen Bedingungen gemacht werden können. Wer einen Mo­nat hindurch sich bewußt auf das Positive in allen seinen Erfah­rungen hinrichtet, der wird nach und nach bemerken, daß sich ein Gefühl in sein Inneres schleicht, wie wenn seine Haut von allen Seiten durchlässig würde und seine Seele sich weit öffnete gegen­über allerlei geheimen und subtilen Vorgängen in seiner Umge­bung, die vorher seiner Aufmerksamkeit völlig entgangen waren. Gerade darum handelt es sich, die in jedem Menschen vorhandene Aufmerksamlosigkeit gegenüber solchen subtilen Dingen zu be­kämpfen. Hat man einmal bemerkt, daß dies beschriebene Gefühl wie eine Art von Seligkeit sich in der Seele geltend macht, so versuche man dieses Gefühl im Gedanken nach dem Herzen hin­zulenken und es von da in die Augen strömen zu lassen, von da hinaus in den Raum vor und um den Menschen herum. Man wird bemerken, daß man ein intimes Verhältnis zu diesem Raum da­durch erhält. Man wächst gleichsam über sich hinaus. Man lernt ein Stück seiner Umgebung noch wie etwas betrachten, das zu einem selber gehört. Es ist recht viel Konzentration zu dieser Übung notwendig und vor allen Dingen ein Anerkennen der Tatsache, daß alles Stürmische, Leidenschaftliche, Affektreiche völlig vernichtend auf die angedeutete Stimmung wirkt. Mit der Wiederholung der Übungen von den ersten Monaten hält man es wieder so, wie für frühere Monate schon angedeutet ist.''»''<ref>Rudolf Steiner: ''Seelenübungen mit Wort- und Sinnbild-Meditationen'', [[S:GA 267#58|[GA 267, S. 58f]]]</ref> [[S:GA 267#58|[Lit.: GA 267, S. 58f]]]
:«Im vierten Monat soll man als neue Übung die sogenannte Positivität aufnehmen. Sie besteht darin, allen Erfahrungen, We­senheiten und Dingen gegenüber stets das in ihnen vorhandene Gute, Vortreffliche, Schöne usw. aufzusuchen. Am besten wird diese Eigenschaft der Seele charakterisiert durch eine persische Legende über den Christus Jesus. Als dieser mit seinen Jüngern einmal einen Weg machte, sahen sie am Wegrande einen schon sehr in Verwesung übergegangenen Hund liegen. Alle Jünger wandten sich von dem häßlichen Anblick ab, nur der Christus Jesus blieb stehen, betrachtete sinnig das Tier und sagte: Welch wunderschöne Zähne hat das Tier! Wo die andern nur das Häß­liche, Unsympathische gesehen hatten, suchte er das Schöne. So muß der esoterische Schüler trachten, in einer jeglichen Erschei­nung und in einem jeglichen Wesen das Positive zu suchen. Er wird alsbald bemerken, daß unter der Hülle eines Häßlichen ein verborgenes Schönes, daß selbst unter der Hülle eines Verbre­chers ein verborgenes Gutes, daß unter der Hülle eines Wahnsin­nigen die göttliche Seele irgendwie verborgen ist. Diese Übung hängt in etwas zusammen mit dem, was man die Enthaltung von Kritik nennt. Man darf diese Sache nicht so auffassen, als ob man schwarz weiß und weiß schwarz nennen sollte. Es gibt aber einen Unterschied zwischen einer Beurteilung, die von der eigenen Per­sönlichkeit bloß ausgeht und Sympathie und Antipathie nach dieser eigenen Persönlichkeit beurteilt. Und es gibt einen Stand­punkt, der sich liebevoll in die fremde Erscheinung oder das fremde Wesen versetzt und sich überall fragt: Wie kommt dieses Andere dazu, so zu sein oder so zu tun? Ein solcher Standpunkt kommt ganz von selbst dazu, sich mehr zu bestreben, dem Un­vollkommenen zu helfen, als es bloß zu tadeln und zu kritisieren. Der Einwand, daß die Lebensverhältnisse von vielen Menschen verlangen, daß sie tadeln und richten, kann hier nicht gemacht werden. Denn dann sind diese Lebensverhältnisse eben solche, daß der Betreffende eine richtige okkulte Schulung nicht durch­machen kann. Es sind eben viele Lebensverhältnisse vorhanden, die eine solche okkulte Schulung in ausgiebigem Maße nicht mög­lich machen. Da sollte eben der Mensch nicht ungeduldig verlan­gen, trotz alledem Fortschritte zu machen, die eben nur unter gewissen Bedingungen gemacht werden können. Wer einen Mo­nat hindurch sich bewußt auf das Positive in allen seinen Erfah­rungen hinrichtet, der wird nach und nach bemerken, daß sich ein Gefühl in sein Inneres schleicht, wie wenn seine Haut von allen Seiten durchlässig würde und seine Seele sich weit öffnete gegen­über allerlei geheimen und subtilen Vorgängen in seiner Umge­bung, die vorher seiner Aufmerksamkeit völlig entgangen waren. Gerade darum handelt es sich, die in jedem Menschen vorhandene Aufmerksamlosigkeit gegenüber solchen subtilen Dingen zu be­kämpfen. Hat man einmal bemerkt, daß dies beschriebene Gefühl wie eine Art von Seligkeit sich in der Seele geltend macht, so versuche man dieses Gefühl im Gedanken nach dem Herzen hin­zulenken und es von da in die Augen strömen zu lassen, von da hinaus in den Raum vor und um den Menschen herum. Man wird bemerken, daß man ein intimes Verhältnis zu diesem Raum da­durch erhält. Man wächst gleichsam über sich hinaus. Man lernt ein Stück seiner Umgebung noch wie etwas betrachten, das zu einem selber gehört. Es ist recht viel Konzentration zu dieser Übung notwendig und vor allen Dingen ein Anerkennen der Tatsache, daß alles Stürmische, Leidenschaftliche, Affektreiche völlig vernichtend auf die angedeutete Stimmung wirkt. Mit der Wiederholung der Übungen von den ersten Monaten hält man es wieder so, wie für frühere Monate schon angedeutet ist.''»''<ref>Rudolf Steiner: ''Seelenübungen mit Wort- und Sinnbild-Meditationen'', [[S:GA 267#58|[GA 267, S. 58f]]]</ref> [[S:GA 267#58|[Lit.: GA 267, S. 58f]]]
=== Geheimwissenschaft im Umriss, 1909 | GA 13, S. 334f ===
:«Für das Den­ken und Füh­len ist ein wei­te­res Bil­dungs­mit­tel die Er­wer­bung der Ei­gen­schaft, wel­che man Po­si­ti­vi­tät nen­nen kann. Es gibt ei­ne sc­hö­ne Le­gen­de, die be­sagt von dem Chris­tus Je­sus, daß er mit ei­ni­gen an­dern Per­so­nen an ei­nem to­ten Hund vor­über­geht. Die an­dern wen­den sich ab von dem häß­li­chen An­blick. Der Chris­tus Je­sus spricht be­wun­dernd von den sc­hö­nen Zäh­nen des Tie­res. Man kann sich da­rin üben, ge­gen­über der Welt ei­ne sol­che See­len­ver­­­fas­sung zu er­hal­ten, wie sie im Sin­ne die­ser Le­gen­de ist. Das Irr­tüm­li­che, Sch­lech­te, Häß­li­che soll die See­le nicht ab­hal­ten, das Wah­re, Gu­te und Sc­hö­ne übe­rall zu fin­den, wo es vor­­han­den ist. Nicht ver­wech­seln soll man die­se Po­si­ti­vi­tät mit Kri­tik­lo­sig­keit, mit dem will­kür­li­chen Ver­sch­lie­ßen der Au­gen ge­gen­über dem Sch­lech­ten, Fal­schen und Min­der­wer­­ti­gen. Wer die «sc­hö­nen Zäh­ne» ei­nes to­ten Tie­res be­wun­­dert, der sieht auch den ver­we­sen­den Leich­nam. Aber die­ser Leich­nam hält ihn nicht da­von ab, die sc­hö­nen Zäh­ne zu se­hen. Man kann das Sch­lech­te nicht gut, den Irr­tum nicht wahr fin­den; aber man kann es da­hin brin­gen, daß man durch das Sch­lech­te nicht ab­ge­hal­ten wer­de, das Gu­te, durch den Irr­tum nicht, das Wah­re zu se­hen.''»''<ref>Rudolf Steiner: ''Die Geheimwissenschaft im Umriß'', [[S:GA13#334|[GA 13, S. 334f]]]</ref> [[S:GA13#334|[Lit.: GA 13, S. 334f]]]
=== Wie erlangt man Kenntnis von höheren Welten? | GA 10, S. 128f ===
:«Das vierte ist die Duldsam­keit (Toleranz) gegenüber Menschen, anderen Wesen und auch Tatsachen. Der Geheimschüler unterdrückt alle überflüssige Kritik gegenüber dem Unvollkommenen, Bösen und Schlechten und sucht vielmehr alles zu begreifen, was an ihn herantritt. Wie die Sonne ihr Licht nicht dem Schlechten und Bösen entzieht, so er nicht seine verständnisvolle Anteilnahme. Begegnet dem Geheimschüler irgendein Ungemach, so ergeht er sich nicht in abfälligen Urteilen, sondern er nimmt das Notwendige hin und sucht, soweit seine Kraft reicht, die Sache zum Guten zu wenden. Andere Meinungen betrachtet er nicht nur von seinem Standpunkte aus, sondern er sucht sich in die Lage des anderen zu versetzen.''»''<ref>Rudolf Steiner: ''Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?'', [[S:GA10#128|[GA 10, S. 128f]]]</ref> ''[[S:GA10#128|[Lit.: GA 10, S. 128f]]]''
=== Aus den Inhalten der esoterischen Stunden, Band III, Leipzig, 2. Januar 1914 | GA 266/3, S. 243f ===
:«Schließlich muß ich auch noch dazu kommen, mein Ich ken­nenzulernen. Ich kann mein Ich nicht erfühlen, weil ich in ihm lebe. Daher müssen wir es in die Welt ausgießen. Mein Ich lerne ich kennen durch das, was wir bezeichnen als Positivität (Gleichnis vom Hunde).Wenn wir es machen wie der Christus-Jesus, so sehen wir nicht das Häßliche, sondern tauchen soweit hinein in alles, daß wir an das Gute kommen. Auf diese Weise kommen wir los von unserm Ich und können es beobachten. Ich ist Liebe und Wille. Durch den entwickelten Willen lernen wir erkennen die Sub­stanz aller Dinge, die im Göttlichen urstän„det. Durch die Liebe lernen wir das Wesen der Dinge miterleben. So dringen wir durch Wille und Liebe vor zum Erkennen, das frei ist vom per­sönlichen Ich. Als geistiges Ich lernen wir untertauchen in Wesen und Substanz aller Dinge, die ja aus dem geistigen Vater-grund stammen, wie auch unser eigenes Ich. Unser Ich schaut uns aus allem Geschaffenen an («Schwan»). Der Schüler erreicht die Stufe des «Schwan», wenn er das erleben kann.»<ref>Rudolf Steiner: ''Aus den Inhalten der esoterischen Stunden, Band III,'' [https://odysseetheater.org/GA/Buecher/GA_266c.pdf#page=243&view=Fit <nowiki>[GA 266/3, S. 243f]</nowiki>]</ref> [https://odysseetheater.org/GA/Buecher/GA_266c.pdf#page=243&view=Fit <nowiki>[GA 266/3, S. 243f]</nowiki>]
=== Über die astrale Welt und das Devachan | GA 88, S. 178 ===
:«Toleranz. Der Chela wird sich nicht von Gefühlen der Anziehung und des Abgestoßenwerdens beherrschen lassen. Er wird alle Verbrecher und Heilige zu verstehen suchen, und obgleich er emotionell erfährt, wird er intellektuell urteilen. Was von dem einen Gesichtspunkt richtig als böse erkannt wird, kann von einem höheren Aspekt als notwendig und folgerichtig beurteilt werden.»<ref>Rudolf Steiner: ''Über die astrale Welt und das Devachan'', [[S:GA88#178|[GA 88, S. 178]]]</ref> [[S:GA88#178|[Lit.: GA 88, S. 178f]]]
=== Vorträge vor der Anthroposophischen Gesellschaft in Stuttgart: Vor dem Tore der Theosophie | GA 95, S. 118f ===
:«Unbefangenheit. Das vierte ist, was man als Unbefangenheit bezeichnen kann. Das ist diejenige Eigenschaft, die in allen Dingen das Gute sieht. Sie geht überall auf das Positive in den Dingen los. Als Beispiel können wir am besten eine persische Legende anführen, die sich an den Christus Jesus knüpft: Der Christus Jesus sah einmal einen krepierten Hund am Wege liegen. Jesus blieb stehen und betrachtete das Tier, die Umstehenden aber wandten sich voll Abscheu weg ob solchen Anblicks. Da sagte der Christus Jesus: Oh, welch wunderschöne Zähne hat das Tier! Er sah nicht das Schlechte, das Häßliche, sondern fand selbst an diesem eklen Kadaver noch etwas Schönes, die weißen Zähne. Sind wir in dieser Stimmung, dann suchen wir in allen Dingen die positiven Eigenschaften, das Gute, und wir können es überall finden. Das wirkt in ganz mächtiger Weise auf den physischen und Ätherleib ein.»<ref>Rudolf Steiner: ''Vor dem Tore der Theosophie'', [[S:GA95#118|[GA 95, S. 118f]]]</ref> [[S:GA95#118|[Lit.: GA 95, S. 118f]]]
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|<small>[[3. Nebenübung von Rudolf Steiner|3. NÜ ◁]] [[Die Nebenübungen von Rudolf Steiner in Gruppenarbeit|&nbsp;&nbsp;■&nbsp;&nbsp;]] [[5. Nebenübung von Rudolf Steiner|▷ 5. NÜ]]</small>

Version vom 15. August 2024, 10:08 Uhr

3. NÜ ◁   ■   ▷ 5. NÜ

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Positivität (4. Nebenübung)

Rudolf Steiner verwendet für diese 4. Nebenübung wiederum verschiedene Namen, Positivität, Unbefangenheit, Sinn für Bejahung, Vertrauen in die Umwelt und Standhaftigkeit. Wiederum beschreiben all diese Namen zusammen den Wesenskern der 4. Nebenübung.

Eine Auswahl von Rudolf Steiner Zitaten für die 4. Nebenübung

Seelenübungen mit Wort- und Sinnbild ... | GA 267, S. 58f

«Im vierten Monat soll man als neue Übung die sogenannte Positivität aufnehmen. Sie besteht darin, allen Erfahrungen, We­senheiten und Dingen gegenüber stets das in ihnen vorhandene Gute, Vortreffliche, Schöne usw. aufzusuchen. Am besten wird diese Eigenschaft der Seele charakterisiert durch eine persische Legende über den Christus Jesus. Als dieser mit seinen Jüngern einmal einen Weg machte, sahen sie am Wegrande einen schon sehr in Verwesung übergegangenen Hund liegen. Alle Jünger wandten sich von dem häßlichen Anblick ab, nur der Christus Jesus blieb stehen, betrachtete sinnig das Tier und sagte: Welch wunderschöne Zähne hat das Tier! Wo die andern nur das Häß­liche, Unsympathische gesehen hatten, suchte er das Schöne. So muß der esoterische Schüler trachten, in einer jeglichen Erschei­nung und in einem jeglichen Wesen das Positive zu suchen. Er wird alsbald bemerken, daß unter der Hülle eines Häßlichen ein verborgenes Schönes, daß selbst unter der Hülle eines Verbre­chers ein verborgenes Gutes, daß unter der Hülle eines Wahnsin­nigen die göttliche Seele irgendwie verborgen ist. Diese Übung hängt in etwas zusammen mit dem, was man die Enthaltung von Kritik nennt. Man darf diese Sache nicht so auffassen, als ob man schwarz weiß und weiß schwarz nennen sollte. Es gibt aber einen Unterschied zwischen einer Beurteilung, die von der eigenen Per­sönlichkeit bloß ausgeht und Sympathie und Antipathie nach dieser eigenen Persönlichkeit beurteilt. Und es gibt einen Stand­punkt, der sich liebevoll in die fremde Erscheinung oder das fremde Wesen versetzt und sich überall fragt: Wie kommt dieses Andere dazu, so zu sein oder so zu tun? Ein solcher Standpunkt kommt ganz von selbst dazu, sich mehr zu bestreben, dem Un­vollkommenen zu helfen, als es bloß zu tadeln und zu kritisieren. Der Einwand, daß die Lebensverhältnisse von vielen Menschen verlangen, daß sie tadeln und richten, kann hier nicht gemacht werden. Denn dann sind diese Lebensverhältnisse eben solche, daß der Betreffende eine richtige okkulte Schulung nicht durch­machen kann. Es sind eben viele Lebensverhältnisse vorhanden, die eine solche okkulte Schulung in ausgiebigem Maße nicht mög­lich machen. Da sollte eben der Mensch nicht ungeduldig verlan­gen, trotz alledem Fortschritte zu machen, die eben nur unter gewissen Bedingungen gemacht werden können. Wer einen Mo­nat hindurch sich bewußt auf das Positive in allen seinen Erfah­rungen hinrichtet, der wird nach und nach bemerken, daß sich ein Gefühl in sein Inneres schleicht, wie wenn seine Haut von allen Seiten durchlässig würde und seine Seele sich weit öffnete gegen­über allerlei geheimen und subtilen Vorgängen in seiner Umge­bung, die vorher seiner Aufmerksamkeit völlig entgangen waren. Gerade darum handelt es sich, die in jedem Menschen vorhandene Aufmerksamlosigkeit gegenüber solchen subtilen Dingen zu be­kämpfen. Hat man einmal bemerkt, daß dies beschriebene Gefühl wie eine Art von Seligkeit sich in der Seele geltend macht, so versuche man dieses Gefühl im Gedanken nach dem Herzen hin­zulenken und es von da in die Augen strömen zu lassen, von da hinaus in den Raum vor und um den Menschen herum. Man wird bemerken, daß man ein intimes Verhältnis zu diesem Raum da­durch erhält. Man wächst gleichsam über sich hinaus. Man lernt ein Stück seiner Umgebung noch wie etwas betrachten, das zu einem selber gehört. Es ist recht viel Konzentration zu dieser Übung notwendig und vor allen Dingen ein Anerkennen der Tatsache, daß alles Stürmische, Leidenschaftliche, Affektreiche völlig vernichtend auf die angedeutete Stimmung wirkt. Mit der Wiederholung der Übungen von den ersten Monaten hält man es wieder so, wie für frühere Monate schon angedeutet ist.»[1] [Lit.: GA 267, S. 58f]

Geheimwissenschaft im Umriss, 1909 | GA 13, S. 334f

«Für das Den­ken und Füh­len ist ein wei­te­res Bil­dungs­mit­tel die Er­wer­bung der Ei­gen­schaft, wel­che man Po­si­ti­vi­tät nen­nen kann. Es gibt ei­ne sc­hö­ne Le­gen­de, die be­sagt von dem Chris­tus Je­sus, daß er mit ei­ni­gen an­dern Per­so­nen an ei­nem to­ten Hund vor­über­geht. Die an­dern wen­den sich ab von dem häß­li­chen An­blick. Der Chris­tus Je­sus spricht be­wun­dernd von den sc­hö­nen Zäh­nen des Tie­res. Man kann sich da­rin üben, ge­gen­über der Welt ei­ne sol­che See­len­ver­­­fas­sung zu er­hal­ten, wie sie im Sin­ne die­ser Le­gen­de ist. Das Irr­tüm­li­che, Sch­lech­te, Häß­li­che soll die See­le nicht ab­hal­ten, das Wah­re, Gu­te und Sc­hö­ne übe­rall zu fin­den, wo es vor­­han­den ist. Nicht ver­wech­seln soll man die­se Po­si­ti­vi­tät mit Kri­tik­lo­sig­keit, mit dem will­kür­li­chen Ver­sch­lie­ßen der Au­gen ge­gen­über dem Sch­lech­ten, Fal­schen und Min­der­wer­­ti­gen. Wer die «sc­hö­nen Zäh­ne» ei­nes to­ten Tie­res be­wun­­dert, der sieht auch den ver­we­sen­den Leich­nam. Aber die­ser Leich­nam hält ihn nicht da­von ab, die sc­hö­nen Zäh­ne zu se­hen. Man kann das Sch­lech­te nicht gut, den Irr­tum nicht wahr fin­den; aber man kann es da­hin brin­gen, daß man durch das Sch­lech­te nicht ab­ge­hal­ten wer­de, das Gu­te, durch den Irr­tum nicht, das Wah­re zu se­hen.»[2] [Lit.: GA 13, S. 334f]

Wie erlangt man Kenntnis von höheren Welten? | GA 10, S. 128f

«Das vierte ist die Duldsam­keit (Toleranz) gegenüber Menschen, anderen Wesen und auch Tatsachen. Der Geheimschüler unterdrückt alle überflüssige Kritik gegenüber dem Unvollkommenen, Bösen und Schlechten und sucht vielmehr alles zu begreifen, was an ihn herantritt. Wie die Sonne ihr Licht nicht dem Schlechten und Bösen entzieht, so er nicht seine verständnisvolle Anteilnahme. Begegnet dem Geheimschüler irgendein Ungemach, so ergeht er sich nicht in abfälligen Urteilen, sondern er nimmt das Notwendige hin und sucht, soweit seine Kraft reicht, die Sache zum Guten zu wenden. Andere Meinungen betrachtet er nicht nur von seinem Standpunkte aus, sondern er sucht sich in die Lage des anderen zu versetzen.»[3] [Lit.: GA 10, S. 128f]

Aus den Inhalten der esoterischen Stunden, Band III, Leipzig, 2. Januar 1914 | GA 266/3, S. 243f

«Schließlich muß ich auch noch dazu kommen, mein Ich ken­nenzulernen. Ich kann mein Ich nicht erfühlen, weil ich in ihm lebe. Daher müssen wir es in die Welt ausgießen. Mein Ich lerne ich kennen durch das, was wir bezeichnen als Positivität (Gleichnis vom Hunde).Wenn wir es machen wie der Christus-Jesus, so sehen wir nicht das Häßliche, sondern tauchen soweit hinein in alles, daß wir an das Gute kommen. Auf diese Weise kommen wir los von unserm Ich und können es beobachten. Ich ist Liebe und Wille. Durch den entwickelten Willen lernen wir erkennen die Sub­stanz aller Dinge, die im Göttlichen urstän„det. Durch die Liebe lernen wir das Wesen der Dinge miterleben. So dringen wir durch Wille und Liebe vor zum Erkennen, das frei ist vom per­sönlichen Ich. Als geistiges Ich lernen wir untertauchen in Wesen und Substanz aller Dinge, die ja aus dem geistigen Vater-grund stammen, wie auch unser eigenes Ich. Unser Ich schaut uns aus allem Geschaffenen an («Schwan»). Der Schüler erreicht die Stufe des «Schwan», wenn er das erleben kann.»[4] [GA 266/3, S. 243f]

Über die astrale Welt und das Devachan | GA 88, S. 178

«Toleranz. Der Chela wird sich nicht von Gefühlen der Anziehung und des Abgestoßenwerdens beherrschen lassen. Er wird alle Verbrecher und Heilige zu verstehen suchen, und obgleich er emotionell erfährt, wird er intellektuell urteilen. Was von dem einen Gesichtspunkt richtig als böse erkannt wird, kann von einem höheren Aspekt als notwendig und folgerichtig beurteilt werden.»[5] [Lit.: GA 88, S. 178f]

Vorträge vor der Anthroposophischen Gesellschaft in Stuttgart: Vor dem Tore der Theosophie | GA 95, S. 118f

«Unbefangenheit. Das vierte ist, was man als Unbefangenheit bezeichnen kann. Das ist diejenige Eigenschaft, die in allen Dingen das Gute sieht. Sie geht überall auf das Positive in den Dingen los. Als Beispiel können wir am besten eine persische Legende anführen, die sich an den Christus Jesus knüpft: Der Christus Jesus sah einmal einen krepierten Hund am Wege liegen. Jesus blieb stehen und betrachtete das Tier, die Umstehenden aber wandten sich voll Abscheu weg ob solchen Anblicks. Da sagte der Christus Jesus: Oh, welch wunderschöne Zähne hat das Tier! Er sah nicht das Schlechte, das Häßliche, sondern fand selbst an diesem eklen Kadaver noch etwas Schönes, die weißen Zähne. Sind wir in dieser Stimmung, dann suchen wir in allen Dingen die positiven Eigenschaften, das Gute, und wir können es überall finden. Das wirkt in ganz mächtiger Weise auf den physischen und Ätherleib ein.»[6] [Lit.: GA 95, S. 118f]
3. NÜ ◁   ■   ▷ 5. NÜ

Literatur

Einzelnachweise

  1. Rudolf Steiner: Seelenübungen mit Wort- und Sinnbild-Meditationen, [GA 267, S. 58f]
  2. Rudolf Steiner: Die Geheimwissenschaft im Umriß, [GA 13, S. 334f]
  3. Rudolf Steiner: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, [GA 10, S. 128f]
  4. Rudolf Steiner: Aus den Inhalten der esoterischen Stunden, Band III, [GA 266/3, S. 243f]
  5. Rudolf Steiner: Über die astrale Welt und das Devachan, [GA 88, S. 178]
  6. Rudolf Steiner: Vor dem Tore der Theosophie, [GA 95, S. 118f]